Die Abenteuer von Aguila und Jaguar
ihnen gelebt. Sie sind freundlich und führen ein freies Leben, die Freiheit bedeutet ihnen mehr als irgendetwas sonst, ohne sie können sie nicht sein. Ein Indianer in Gefangenschaft ist ein toter Indianer: Er zieht sich in sich selbst zurück, hört auf zu essen und zu atmen und stirbt«, erzählte Pater Valdomero.
»Die einen behaupten, sie seien friedfertig, und die anderen, sie seien vollkommen wild und gewalttätig«, sagte Alex.
»Die gefährlichsten Menschen, die ich hier in der Gegend gesehen habe, sind nicht die Indianer, sondern die Leute, die mit Waffen, mit Drogen und Diamanten handeln, die Kautschuksammler und Goldsucher, Soldaten und Holzfäller, die dieses Land verpesten und ausbeuten«, widersprach ihm der Pfarrer und fügte hinzu, die Indianer besäßen zwar wenige Dinge, würden sich aber viele Gedanken machen und hätten eine so enge Verbindung zur Natur wie ein Kind zu seiner Mutter.
»Erzählen Sie uns von der Bestie. Stimmt es, dass Sie die mit eigenen Augen gesehen haben?«, fragte Nadia.
»Ich glaube, ich habe sie gesehen, aber es war Nacht und meine Augen sind nicht mehr die besten.« Pater Valdomero kippte sich einen kräftigen Schluck Rum in den Schlund.
»Wann war das?«, wollte Alex wissen, denn seine Großmutter würde ihm für diese Information bestimmt dankbar sein.
»Vor ein paar Jahren …«
»Und was genau haben Sie gesehen?«
»Das habe ich schon oft erzählt: einen über drei Meter großen Riesen, der sich sehr langsam bewegte und einen fürchterlichen Gestank verbreitete. Ich war gelähmt vor Schreck.«
»Die Bestie hat Sie nicht angegriffen, Pater?«
»Nein. Sie hat etwas gesagt, dann hat sie sich umgedreht und ist im Wald verschwunden.«
»Sie hat etwas gesagt?« Alex sah ihn ungläubig an. »Sie meinen damit, sie hat Laute von sich gegeben, so etwas wie Knurren, oder?«
»Nein, mein Junge. Das Wesen hat eindeutig gesprochen. Ich habe kein Wort verstanden, aber es war zweifellos eine richtige Sprache. Ich wurde ohnmächtig … Als ich wieder zu mir kam, wusste ich nicht genau, was passiert war, aber der Gestank hing in meinen Kleidern, in den Haaren, pappte mir auf der Haut. Da war mir klar, dass ich nicht geträumt hatte.«
FÜNFTES KAPITEL
Der Schamane
Das Gewitter hörte so schlagartig auf, wie es begonnen hatte, und eine sternklare Nacht brach an. Alex und Nadia gingen zum Hotel zurück, wo die Expeditionsteilnehmer im Schankraum um César Santos und Dr. Omayra Torres versammelt waren. Auf einem großen Tisch vor ihnen war eine Karte der Umgebung ausgebreitet. Professor Leblanc, der sich etwas von seiner Erschöpfung erholt hatte, war von Kopf bis Fuß mit Mückenschutzmittel eingepinselt, und schräg hinter ihm saß ein knochiger, düster dreinblickender Indianer, der Karakawe hieß und ihm mit einem Bananenblatt Luft zufächeln sollte. Leblanc wollte mit der Gruppe schon am nächsten Tag zum oberen Orinoko aufbrechen, weil er, wie er sagte, seine Zeit nicht in diesem unbedeutenden Kaff verplempern könne. Er habe bloß drei Wochen, um dieses sonderbare Urwaldwesen zu fangen.
»Das hat noch keiner geschafft, Herr Professor, nicht in Jahren …«, wandte César Santos ein.
»Die Bestie sollte schleunigst auftauchen, ich muss eine Reihe Vorträge in Europa halten.«
»Ich hoffe, sie kann Ihren Argumenten folgen«, sagte der Führer, aber der Professor schien die Ironie nicht zu begreifen.
Kate Cold hatte ihrem Enkel erzählt, das Amazonasgebiet sei ein gefährlicher Ort für Anthropologen, weil die hier meistens den Verstand verlören. Sie stellten Theorien auf, die einander widersprachen, und lieferten sich Feuergefechte und Messerstechereien; andere tyrannisierten die Eingeborenen und hielten sich irgendwann für Götter. Einer war so irregeworden, dass man ihn gefesselt wieder nach Hause schaffen musste.
»Ich nehme an, Ihnen ist bekannt, dass auch ich an der Expedition teilnehme, Professor Leblanc«, sagte Dr. Omayra Torres, von deren umwerfender Schönheit der Anthropologe so hingerissen war, dass er ständig zu ihr hinüberlinste.
»Nichts lieber als das, meine Beste, aber …«
»Dr. Torres«, unterbrach ihn die Ärztin.
»Sie dürfen mich Ludovic nennen«, wagte sich Leblanc kokett vor.
»Nennen Sie mich Dr. Torres«, entgegnete sie trocken.
»Ich kann Sie leider nicht mitnehmen, meine geschätzte Frau Doktor. Wir haben kaum genug Platz für diejenigen, die im Auftrag des International Geographic reisen. Unser Budget ist zwar großzügig,
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