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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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sind«, erklärte Nadia.
    Sie erzählte ihm, wie sie einmal einen Kaiman beobachtet hatte, der schwer von einem Jaguar verwundet worden war und sich zum Wasser geschleppt hatte, wo die Piranhas sich durch die Wunde in ihn hineinfraßen und ihn binnen Minuten von innen verschlangen, ohne die warzige Haut zu beschädigen.
    Da plötzlich merkte das Mädchen auf und legte einen Finger an die Lippen, damit Alex still war. Borobá, das Äffchen, wurde ganz aufgeregt und begann herumzuspringen und zu kreischen, aber Nadia beruhigte ihn sofort, indem sie ihm etwas ins Ohr flüsterte. Alex kam es vor, als könne das Tier die Worte seiner Herrin genau verstehen. Er sah nur die Schatten des Waldes und den schwarzen Wasserspiegel, aber irgendetwas hatte offensichtlich Nadias Aufmerksamkeit erregt, denn sie war aufgestanden. Von weit her drangen gedämpfte Gitarrenklänge aus dem Dorf zu ihnenherüber. Wenn er sich umwandte, konnte er einige Lichter in den Hütten hinter sich erkennen, aber hier waren sie allein.
    Nadia stieß einen langen, spitzen Schrei aus, der sich für Alex wie der Ruf einer Eule anhörte, und gleich darauf antwortete der gleiche Schrei vom anderen Flussufer. Zweimal wiederholte das Mädchen den Ruf und erhielt beide Male die gleiche Antwort. Da nahm sie Alex beim Arm und bedeutete ihm, ihr zu folgen. Alex fiel ein, dass César Santos ihnen aufgetragen hatte, nach Einbruch der Dunkelheit im Dorf zu bleiben, und auch all die Geschichten, die er über Giftschlangen, Raubtiere, Banditen und bewaffnete Trunkenbolde gehört hatte, kamen ihm in den Sinn. Und an die wilden Indianer, die Leblanc beschrieb, oder an die Bestie mochte er lieber gar nicht erst denken … Aber er wollte in den Augen des Mädchens nicht als Feigling dastehen und folgte ihr wortlos, sein aufgeklapptes Schweizer Messer in der Faust.
    Sie ließen die letzten Hütten des Dorfes hinter sich und gingen vorsichtig weiter, nur der Mond leuchtete ihnen. Der Urwald war gar nicht so undurchdringlich, wie Alex geglaubt hatte; das Dikkicht am Flussufer lichtete sich nach und nach, und man konnte ohne große Schwierigkeiten vorankommen. Sie waren noch nicht sehr weit gegangen, da erscholl der Ruf der Eule erneut. Sie befanden sich auf einer Lichtung, und hier sah man ein Stück Himmel und den Mond. Nadia blieb stehen und wartete reglos; sogar Borobá tat keinen Mucks, als wüsste er genau, was auf sie zukam. Plötzlich machte Alex erschrocken einen Satz: Keine drei Meter entfernt hatte sich eine Gestalt aus der Nachtschwärze gelöst, unvermittelt und lautlos wie ein Gespenst. Bereit, sich zu verteidigen, schwang er sein Taschenmesser, aber Nadia war so gelassen, dass seine Hand in der Luft stockte.
    »Aía«, flüsterte das Mädchen.
    »Aía, aía …«, antwortete eine Stimme, die sich für Alex nicht wie die eines Menschen anhörte, sie klang wie ein Windhauch.
    Die Gestalt trat einen Schritt auf sie zu und blieb dicht vor Nadia stehen. Alex’ Augen hatten sich inzwischen etwas an das Zwielicht gewöhnt, und jetzt konnte er im Schein des Mondes einen unvorstellbar alten Mann erkennen. Obwohl er sich aufrecht hielt und sich geschmeidig bewegte, sah er aus, als hätte erJahrhunderte gelebt. Er war sehr klein. Noch nicht einmal so groß wie Nicole, schätzte Alex, und seine Schwester war doch erst neun. Er trug einen kurzen Lendenschurz aus Pflanzenfasern, seine Brust war von einem Dutzend Ketten aus Muscheln, Samenkörnern und Wildschweinzähnen bedeckt. Seine Haut, faltig wie die eines steinalten Elefanten, hing schlaff über dem dürren Skelett. In der Hand hielt er eine kurze Lanze, außerdem einen Stab, an dem eine Reihe Lederbeutel baumelten, und ein Holzrohr, das mit irgendwelchen Steinchen gefüllt sein musste, denn es machte ein Geräusch wie eine Babyrassel. Nadia griff sich ins Haar, befreite das Glühwürmchen und bot es ihm an; der Greis nahm es und setzte es zwischen seine Halsketten. Das Mädchen kniete sich hin und gebot Alex, es ihr als Zeichen der Hochachtung gleichzutun. Sofort setzte sich auch der Indianer, und so verharrten die drei auf gleicher Höhe.
    Mit einem Satz war Borobá auf den Schultern des Alten und zog ihn an den Ohren; seine Herrin verscheuchte ihn mit einem Klaps, und der Greis lachte herzhaft. Alex kam es so vor, als hätte der Alte keinen einzigen Zahn mehr im Mund, aber in dem spärlichen Licht konnte er das nicht richtig erkennen. Gestikulierend vertieften sich der Indianer und Nadia in ein langes Gespräch in

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