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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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einer Sprache, deren Worte sanft klangen wie der Hauch des Windes, das Plätschern von Wasser und das Zwitschern der Vögel. Alex nahm an, dass sie über ihn sprachen, denn sie deuteten in seine Richtung. Einmal sprang der Mann auf und fuchtelte erbost mit seiner kurzen Lanze herum, aber Nadia redete lange auf ihn ein, und er beruhigte sich wieder. Schließlich streifte der Alte ein Amulett ab, einen geschnitzten Knochen, der um seinen Hals hing, führte ihn an die Lippen und blies hinein. Wie zuvor ertönte der Ruf der Eule, der Alex vertraut war, weil es in der Nähe seines Zuhauses in Nordkalifornien viele dieser Vögel gab. Der wunderliche Greis band Nadia das Amulett um den Hals, legte ihr zum Abschied beide Hände auf die Schultern und verschwand urplötzlich genauso lautlos, wie er aufgetaucht war. Alex hätte schwören können, dass er ihn nicht hatte weggehen sehen, der Alte hatte sich einfach in Luft aufgelöst.
    »Das war Walimai«, flüsterte ihm Nadia ins Ohr.
    »Walimai?«
    »Ssscht! Sag den Namen nicht laut! Den wahren Namen eines Indianers darfst du niemals in seiner Gegenwart aussprechen, er ist tabu. Und die Namen der Toten darfst du erst recht nicht nennen, das ist ein noch viel strengeres Tabu; es ist eine schreckliche Beleidigung, wenn man es bricht«, erklärte Nadia.
    »Wer ist das?« Alex war von dem Alten ziemlich beeindruckt.
    »Ein Schamane, ein sehr mächtiger Zauberer. Er kann durch Träume und Visionen in die Zukunft sehen. Er reist in die Welt der Geister, wann immer er möchte. Nur er kennt den Weg nach El Dorado.«
    »El Dorado? Die Stadt, die sich die Eroberer Amerikas zusammenphantasiert haben? Das ist doch bloß eine alberne Legende!«
    »Walimai ist häufig mit seiner Frau dort gewesen. Sie begleitet ihn immer«, widersprach das Mädchen.
    »Aber diesmal war sie doch nicht bei ihm.«
    »Sie ist ein Geist. Nicht jeder kann sie sehen.«
    »Du hast sie gesehen?«
    »Ja. Sie ist jung und sehr schön.«
    »Was hat dir der Zauberer da gegeben? Worüber habt ihr gesprochen?«
    »Es ist ein Talisman. Damit bin ich immer in Sicherheit, niemand, kein Mensch oder Tier oder Geisterwesen, kann mir etwas tun. Außerdem kann ich ihn damit rufen, ich muss nur hineinblasen. Bis jetzt musste ich immer warten, bis er von selbst erschienen ist. Er sagt, ich brauche den Talisman, weil große Gefahr droht, der Rahakanariwa ist freigelassen worden, das ist der Geist eines menschenfressenden Vogels, vor dem alle schreckliche Angst haben. Wenn er auftaucht, bedeutet das Tod und Zerstörung, aber der Talisman wird mich beschützen.«
    »Du bist ziemlich sonderbar …« Alex verstand langsam gar nichts mehr.
    »Walimai sagt, die Fremden sollten nicht nach der Bestie suchen. Er sagt, einige werden sterben. Aber du und ich, wir sollen gehen, denn wir werden gerufen, weil wir weiße Seelen haben.«
    »Wer ruft uns?«
    »Das weiß ich nicht, aber wenn Walimai es sagt, stimmt es.«
    »Glaubst du wirklich an dieses Zeug, Nadia? Glaubst du anZauberer, menschenfressende Vögel, an El Dorado, unsichtbare Ehefrauen und an die Bestie?«
    Ohne zu antworten, drehte das Mädchen sich um und ging zurück zum Dorf, und er blieb ihr auf den Fersen, um sich nicht zu verlaufen.

SECHSTES KAPITEL
Der Plan
    In dieser Nacht schlief Alex unruhig. Er fühlte sich der Außenwelt ausgeliefert, als hätten sich die dünnen Wände, die ihn vom Urwald trennten, in Luft aufgelöst und ihn sämtlichen Gefahren dieser unbekannten Welt preisgegeben. Das Hotel, dieser Bretterverschlag auf Stelzen mit einem Wellblechdach und ohne Scheiben in den Fenstern, hielt gerade eben den Regen ab. Zum Lärmen der Frösche und anderen Tiere kam das Schnarchen seiner Zimmergenossen. Seine Hängematte drehte sich ein paar Mal um die eigene Achse und warf ihn bäuchlings auf den Boden, ehe er sich daran erinnerte, dass er sich diagonal hineinlegen musste, um die Balance zu halten. Es war nicht heiß, und doch schwitzte er. Lange lag er in der Dunkelheit unter seinem in Mückenschutzmittel getränkten Moskitonetz wach und dachte an die Bestie, an Vogelspinnen, Skorpione, Schlangen und andere Gefahren, die im Finstern lauerten. Wieder ging ihm die sonderbare Begegnung zwischen dem Indianer und Nadia durch den Kopf, deren Zeuge er geworden war. Der Schamane hatte prophezeit, dass einige Mitglieder der Expedition sterben würden.
    Er konnte es nicht fassen, dass sein Leben in nur wenigen Tagen so vollkommen umgekrempelt war und er sich plötzlich an einem

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