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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Campvorbeikam, konnte er auf Mushahas Gastfreundschaft zählen, musste die Tiere im Reservat aber in Ruhe lassen.
    Wie immer bot Mushaha ihnen etwas zu essen an und lud sie zum Verweilen ein. Zwar behagte den Nomaden die Anwesenheit der Fremden nicht, aber sie nahmen die Einladung an, denn eins ihrer Kinder war krank. Sie erwarteten eine Heilerin, die bald eintreffen sollte. Die Frau war berühmt in der Gegend, im weiten Umkreis kümmerte sie sich um das Wohl ihrer Schützlinge, heilte mit Kräutern und der Kraft ihres Glaubens. Die Nomadenfamilie besaß keine modernen Kommunikationsmittel, um sich mit ihr in Verbindung zu setzen, hatte jedoch irgendwie erfahren, dass sie an diesem Abend hier sein würde, deshalb blieben die Massai in der Nähe des Camps. Und wie erwartet, hörte man bei Sonnenuntergang von ferne das Klingen der Glöckchen und Rasseln der Amulette der Heilerin.
    Im staubigen Abendrot tauchte eine hagere, barfüßige Gestalt auf. Elend wirkte sie, trug nichts am Leib als einen kurzen, um die Hüfte geschlungenen Stofffetzen, und ihr Gepäck bildeten einige Kalebassen, verschiedene Beutel voller Amulette und Heilkräuter und zwei magische Stäbe mit Federbüschen an den Spitzen. Ihr Haar baumelte in langen, mit rotem Lehm verklebten Zotteln um ihren Kopf. Die Haut fiel ihr in schlaffen Falten über die Knochen, bestimmt war sie uralt, aber sie hielt sich aufrecht und hatte kräftige Beine und Arme. Die Heilung des kleinen Patienten sollte wenige Schritte vom Camp entfernt stattfinden.
    »Sie sagt, das Kind sei vom Geist eines erbosten Vorfahren besessen«, erklärte Michael Mushaha. »Sie muss herausfinden, wer er ist, und ihn zurück in die andere Welt schicken, wo er hingehört.«
    Joel González lachte herzhaft: Wie konnte jemand im einundzwanzigsten Jahrhundert solche Dinge glauben?
    »Da gibt es nichts zu lachen«, wies Michael ihn zurecht. »In achtzig Prozent aller Fälle geht es dem Patienten nach der Behandlung besser.«
    Er erzählte, er habe einmal zwei Leute gesehen, die sich mit Schaum vor dem Mund am Boden gekrümmt, gebissen, geknurrt und gebellt hätten. Ihre Angehörigen waren der Meinung, sie seien von Hyänen besessen. Die alte Frau habe die beiden geheilt.
    »Hysterie heißt das«, sagte Joel.
    »Nennen Sie es, wie Sie wollen, Tatsache ist, dass sie durch eine Zeremonie geheilt wurden. So erfolgreich ist die westliche Medizin mit ihren Drogen und Elektroschocks selten gewesen«, sagte Mushaha milde lächelnd.
    »Also wirklich, Michael, Sie sind Wissenschaftler, Sie haben in London studiert, wollen Sie mir jetzt etwa weismachen, dass …«
    »Vor allem bin ich Afrikaner«, unterbrach ihn der andere. »Die afrikanischen Mediziner haben eingesehen, dass sie sich nicht über die Heiler lustig machen, sondern mit ihnen zusammenarbeiten sollten. Die Magie zeitigt zuweilen bessere Ergebnisse als die Medikamente aus dem Ausland. Die Menschen glauben an die traditionellen Heilmethoden, und das hilft. Glaube versetzt Berge. Sie sollten unsere Heiler nicht unterschätzen.«
    Kate nahm Notizblock und Bleistift zur Hand, und Joel bereitete, kleinlaut geworden, seine Kamera vor, um die Zeremonie zu fotografieren.
    Das Kind wurde nackt auf eine Decke gelegt, und seine Familie stellte sich ringsum auf. Die alte Heilerin begann, ihre magischen Stäbe auf den Boden zu stoßen, rasselte mit den Kalebassen, tanzte im Kreis und stimmte dazu einen Singsang an, dem sich die Nomaden wenig später anschlossen. Es dauerte nicht lange, da fiel die Heilerin in Trance, sie zuckte und verdrehte die Augen, dass man nur noch das Weiße darin sah. Zugleich wand sich das Kind am Boden wie in einem Krampf und bog den Rücken in die Höhe, bis es nur noch mit dem Hinterkopf und den Fersen die Erde berührte.
    Nadia spürte die Kraft der Zeremonie wie einen Stromstoß und schloss sich, ohne darüber nachzudenken, dem immer stürmischer werdenden Gesang und Tanz der Nomaden an. Es vergingen mehrere Stunden, während deren die alte Heilerin den bösen Geist, von dem das Kind ergriffen war, in ihren eigenen Körper aufsog, wie Michael Mushaha ihnen später erklärte. Schließlich fiel alle Spannung von dem Kind ab, und es begann zu weinen, was als Zeichen der Genesung gedeutet wurde. Seine Mutter nahm es in die Arme, wiegte und küsste es, alle strahlten.
    Etwa zwanzig Minuten später war die Heilerin aus ihremTrancezustand erwacht und sagte, das Kind sei von dem bösen Geist befreit und dürfe auch gleich etwas essen,

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