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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Handumdrehen hockte er rittlings oben, während Nadia nervös von einem Bein auf das andere trat und Borobá sein Gesicht in ihren Haaren versteckte.
    »Sieht aus wie ein verlassenes Dorf, bestimmt uralt, so etwas habe ich noch nie gesehen«, meldete Alex.
    »Liegen Skelette herum?«
    »Nein. Es sieht sauber und verlassen aus. Vielleicht schieben sie die Toten doch nicht durch das Loch …«
    Alex half Nadia auf die Mauer und auf der anderen Seite wieder hinunter. Borobá wollte erst nicht, aber als er Nadia verschwinden sah, flitzte er hinterher.
    Auf den ersten Blick glich das Dorf der Ahnen einer Ansammlung kleiner Backhäuser aus Lehm und Steinen, die perfekt symmetrisch, in zur Mitte hin kleiner werdenden Kreisen angeordnet waren. Jedes dieser kugeligen Häuschen hatte ein Eingangsloch, das mit Stoffstreifen oder faseriger Baumrinde verhangen war. Statuen, Puppen oder Amulette gab es hier keine. Es war, als stehe das Leben im Innern der hohen Mauer still. Der Dschungel, ja selbst die Hitze schienen draußen geblieben zu sein. Eine merkwürdige Stille lag über allem, kein Kreischen von Affen oder Vögeln war zu hören, weder das Rinnen der Regentropfen noch das Wispern des Windes in den Blättern. Vollkommene Stille.
    »Das müssen die Gräber sein, dort legen sie ihre Toten ab. Lass uns nachsehen«, fasste Alex sich ein Herz.
    Sie schoben die Vorhänge an mehreren der Rundhäuschen beiseite und spähten hinein: fein säuberlich gestapelte Menschenknochen, Pyramiden aus Menschenknochen. Sie sahen trocken und brüchig aus, als lägen sie dort seit Jahrhunderten. Einige der Häuschen waren bis zur Decke gefüllt damit, andere nur halb, und manche waren ganz leer.
    »Wie grausig!« Alex überlief es kalt.
    »Ich verstehe das nicht, Jaguar … Wenn niemand hierher kommt, wieso ist dann alles so geordnet und sauber?«
    »Sehr rätselhaft.« Dazu fiel auch Alex keine Erklärung mehr ein.

ELFTES KAPITEL
Begegnung mit den Geistern
    Das Licht begann zu schwinden. Als sie Ngoubé vor zwei Tagen verlassen hatten, waren Alex und Nadia eingetaucht in das gedämpfte Zwielicht des Waldes und hatten den Himmel nur durch die wenigen Lücken zwischen den Baumkronen sehen können, hier jedoch wölbte er sich über der Lichtung des Friedhofs und färbte sich langsam dunkelblau. Sie suchten sich einen Platz zwischen zwei Grabhäusern, wo sie einige Stunden in Einsamkeit verbringen wollten.
    In den drei Jahren, die Alexander und Nadia sich jetzt kannten, war ihre Freundschaft gewachsen wie ein Baum und zum Wichtigsten in ihrem Leben geworden. Was zu Beginn eine Art kindlicher Zuneigung gewesen war, hatte sich gewandelt, aber darüber sprachen sie nicht. Sie wussten nicht, wie sie ihr Empfinden füreinander in Worte fassen sollten, und fürchteten, bei dem Versuch könnte es zerspringen wie Glas. Wenn sie ihr Gefühl benannten, würden sie es festlegen, ihm Grenzen setzen, es einengen. Sprachen sie nicht darüber, blieb es frei und ungetrübt. Im Stillen hatte sich ihre Zuneigung vertieft, fast unbemerkt von ihnen.
    Alex hatte in der letzten Zeit mehr denn je unter dem Hormondurcheinander des Erwachsenwerdens gelitten, das die meisten Jungen in seinem Alter schon fast überstanden hatten. Sein Körper war ein Feind, der keine Ruhe gab. In der Schule war er schlechter geworden, er hatte die Musik aufgegeben, und selbst die Klettertouren mit seinem Vater, die ihm früher so wichtig gewesen waren, langweilten ihn. Manchmal hatte er Anfälle von schlechter Laune, er stritt sich mit seinen Schwestern und seinen Eltern, und wenn es ihm hinterher leid tat, wusste er nicht, wie er sich aussöhnen sollte. Er fühlte sich unbeholfen, wie verheddert in einem Netz widerstreitender Empfindungen. Von einer Minute auf die andere konnte jeder Überschwang in tiefe Schwermut umschlagen, und dieses Auf und Ab war so heftig, dass er sich bisweilen fragte, ob das Weiterleben lohnte. War er düster gestimmt,empfand er die Welt als eine Kette aus Katastrophen und hielt die meisten ihrer Bewohner für Vollidioten. Obwohl er Bücher darüber gelesen und sie das Thema in der Schule erschöpfend behandelt hatten, litt er unter dieser Lebensphase wie unter einer Krankheit, für die man sich schämen muss. »Keine Sorge, das geht vorbei«, sagte sein Vater manchmal, als hätte er sich erkältet. Aber er war jetzt bald achtzehn, und es war immer noch nicht besser geworden. Mit seinen Eltern konnte er kaum noch reden, sie machten ihn wahnsinnig, alles, was sie

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