Die Abenteuer von Aguila und Jaguar
Hasendraht notdürftig zusammengezimmerter Käfig. Darin lief eine große Katze von einer Ecke zur anderen, aus jedem ihrer Schritte sprach der Irrsinn des eingesperrten Raubtiers. Es war ein schwarzer Jaguar, einer der schönsten, die je in dieser Gegend gesichtet worden waren, mit glänzendem Fell und einem hypnotisierenden Blick aus topasgelben Augen. Bei seinem Anblick stieß Borobá einen spitzen Schrei aus, sprang von Nadias Schulter und raste wie vom Teufel besessen davon, gefolgt von dem Mädchen, das vergeblich nach ihm rief. Verdutzt sah ihnen Alex nach; es war das erste Mal, dass sich der Affe freiwillig von seiner Herrin trennte. Die Fotografen hatten sofort ihre Objektive auf die Raubkatze gerichtet, und auch Kate Cold zückte ihre kleine Pocketkamera. Professor Leblanc hielt sich in sicherer Entfernung.
»Kein Tier ist in Südamerika so gefürchtet wie der schwarze Jaguar. Er ist sehr mutig und schreckt vor nichts zurück«, sagte Carías.
»Wenn Sie ihn so sehr bewundern, warum lassen Sie ihn dann nicht laufen? Die arme Katze wäre besser tot, als eingesperrt zu sein«, bemerkte César Santos.
»Ihn laufen lassen? Auf keinen Fall, Mann! Zu Hause in Rio de Janeiro habe ich einen kleinen Zoo. Ich warte nur noch, dass mir der passende Käfig geliefert wird, dann bringe ich ihn dorthin.«
Gebannt vom Anblick dieser riesigen Katze, war Alex näher getreten. Seine Großmutter schrie ihm eine Warnung zu, aber er hörte es gar nicht und ging weiter, bis er mit beiden Händen den Drahtverhau berührte, der ihn von dem Tier trennte. Der Jaguar blieb stehen, stieß ein gewaltiges Fauchen aus und starrte Alex mit seinen gelben Augen an; reglos verharrte er, all seine Muskeln waren gespannt, das pechschwarze Fell bebte. Wie in Trance nahm Alex die Brille ab, die er seit seinem achten Lebensjahr getragen hatte, und ließ sie auf die Erde fallen. Er war der Raubkatze so nah, dass er jeden einzelnen goldenen Sprenkel in ihren Pupillen erkennen konnte, und in einem stummen Zwiegespräch starrten sie einander an. Alles um sie her verschwand: Er stand allein vor dem Tier auf einer weiten goldenen Ebene, die von mächtigen schwarzen Felstürmen umstanden war, und darüber wölbte sich ein weißer Himmel, in dem wie Quallen sechs durchsichtige Monde schwammen. Er sah, wie die Raubkatze ihre großen, schimmernd weißen Zähne bleckte, und dann sagte sie mit einer abgrundtiefen Stimme, die dennoch menschlich klang, seinen Namen: Alexander. Und er antwortete mit seiner eigenen Stimme, die ebenfalls viel tiefer war als sonst: Jaguar. Dreimal sprachen das Tier und Alex einander an: Alexander, Jaguar, Alexander, Jaguar, Alexander, Jaguar, und da erglühte der Sand der Ebene, der Himmel wurde schwarz, und die sechs Monde begannen, sich um die eigene Achse zu drehen und zogen über den Himmel wie langsame Kometen.
Unterdessen hatte Mauro Carías einen Befehl gegeben, und einer seiner Wächter schleifte an einem Strick einen Affen herbei. Als er den Jaguar erblickte, tat er das Gleiche wie zuvor Borobá,er schrie auf, versuchte wegzuspringen und schlug um sich, kam aber nicht von seiner Fessel los. Carías packte ihn am Genick, und noch ehe jemand seine Absichten erraten konnte, hatte er mit einem einzigen geübten Handgriff den Käfig geöffnet und das zu Tode erschrockene Tier hineingeworfen.
Die überrumpelten Fotografen hatten alle Mühe, sich an die Kameras in ihren Händen zu erinnern. Gebannt verfolgte Leblanc, wie der unglückliche Affe auf der Suche nach einem Ausweg am Drahtverhau hochkletterte, während die Raubkatze ihr Opfer nicht aus den Augen ließ und geduckt zum Sprung ansetzte. Ohne nachzudenken, stürzte Alex los, und die Brillengläser knirschten unter seinen Füßen. Er warf sich gegen die Käfigtür, entschlossen, beide Tiere zu retten, den Affen vor dem sicheren Tod und den Jaguar vor der Gefangenschaft. Als Kate Cold sah, wie ihr Enkel den Riegel aufschob, rannte auch sie los, aber da hatten zwei von Mauro Carías’ Wächtern ihn schon gepackt und rangen mit ihm. Alles geschah gleichzeitig und so schnell, dass Alex sich später an die Abfolge der Ereignisse nicht mehr erinnern konnte. Mit einem Prankenhieb warf der Jaguar den Affen zu Boden und bohrte ihm seine schrecklichen Reißzähne in den Nacken. Das Blut spritzte in alle Richtungen. Im gleichen Augenblick löste César Santos seine Pistole vom Gürtel und schoss dem Raubtier genau in die Stirn. Alex spürte die Kugel einschlagen, als hätte sie
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