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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Heiligtum gestohlen hatte, auch wenn er glauben mochte, er bedürfe des Amuletts nicht, um die Pygmäen unter Kontrolle zu halten, die für ihn nichts waren als erbärmliche Geschöpfe.
    Das königliche Gefolge hielt in der Mitte des Platzes, damit auch niemandem die Pracht Kosongos entging. Unter dem Baum der Wörter war ein Platz für das Podest vorgesehen, aber zunächst fragte der Königliche Mund die Pygmäen nach dem Elfenbein. Die Jäger traten vor, und nun hefteten sich aller Augen auf einen von ihnen und auf das, was er in Händen hielt: das heilige Amulett Ipemba-Afua.
    »Es gibt keine Elefanten mehr«, verkündete Beyé-Dokou mit fester Stimme. »Wir können keine Stoßzähne mehr bringen. Jetzt wollen wir unsere Frauen und Kinder. Wir kehren zurück in den Wald.«
    Grabesstille folgte auf diese kurze Rede. Mit einem Aufstand der Sklaven hatte niemand gerechnet. Die Soldaten derBruderschaft hoben ihre Gewehre, als wollten sie in die Gruppe der Jäger feuern, aber Mbembelé war nicht da, um den Befehl zu geben, und der König rührte sich nicht. Die Dorfbewohner warfen einander fragende Blicke zu: Über die Pygmäen hatte Nzés Mutter nichts gesagt. Seit Jahren ließ man sie als Sklaven schuften, und keiner wollte auf ihre Arbeitskraft verzichten, aber nun war die alte Ordnung aus den Fugen geraten. Zum ersten Mal empfanden die Menschen von Ngoubé Achtung für diese Kreaturen, die sie immer für elend, wehrlos und verwundbar gehalten hatten und die nun plötzlich einen nie gesehenen Mut bewiesen.
    Kosongo winkte seinen Sprecher zu sich und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Königliche Mund befahl, die Kinder zu bringen. Sechs Wachen näherten sich einem der Pferche und führten wenig später ein jämmerliches Häuflein Menschen vor: zwei alte Frauen in Baströcken, beide mit Säuglingen auf dem Arm, um die sich Kinder unterschiedlichen Alters drängten, alle winzig und mit vor Schreck geweiteten Augen. Als sie ihre Väter sahen, wollten sich einige zu ihnen flüchten, aber die Wachen stießen sie zurück.
    »Der König muss Handel treiben, das ist seine Pflicht. Ihr wisst, was geschieht, wenn ihr kein Elfenbein bringt«, verkündete der Königliche Mund.
    Das war zu viel für Kate. Sie vergaß, dass sie Alexander versprochen hatte, sich nicht einzumischen, lief auf das Podest mit dem König zu und baute sich davor auf. Ohne sich im Entferntesten um das Protokoll zu scheren, nach dem sie sich hätte auf den Boden werfen müssen, schrie sie Kosongo an, ob er vergessen habe, dass sie Reporter waren, sie würden die Welt wissen lassen, welche Verbrechen gegen die Menschlichkeit in diesem Dorf begangen wurden. Sie hatte noch nicht ausgeredet, als zwei Soldaten sie an den Armen packten. Sie schrie weiter und strampelte und wand sich, während sie zum Brunnen der Krokodile geschleppt wurde.
    ~
    Im Nu war alles zunichte, was Nadia und Alex sich so sorgfältig ausgedacht hatten. Eigentlich hätte jedes Mitglied ihrer Gruppe eine bestimmte Rolle spielen sollen, aber Kates Vorpreschensorgte für heilloses Durcheinander unter den Freunden. Sie konnten von Glück sagen, dass auch die Wachen und die übrigen Dorfbewohner nicht wussten, was tun.
    Dem Jäger, der König Kosongo die Narkose verpassen sollte und der sich bisher zwischen den Hütten verborgen gehalten hatte, blieb nicht die Zeit, auf einen günstigen Moment für den Schuss zu warten. Überstürzt setzte er das Blasrohr an den Mund und schoss, traf aber nicht Kosongo, sondern einen der Podestträger in die Brust. Der spürte einen Stich wie von einer Biene, hatte indes keine Hand frei, um das vermeintliche Insekt zu verscheuchen. Für einen Augenblick hielt er sich auf den Beinen, dann knickten ihm plötzlich die Knie ein, und er sackte bewusstlos in sich zusammen. Von dem zusätzlichen Gewicht überrumpelt, konnten die drei anderen Träger das Podest nicht mehr halten, es kippte, und der französische Sessel kam ins Rutschen. Kosongo schrie auf und ruderte mit den Armen, segelte für den Bruchteil einer Sekunde durch die Luft und lag gleich darauf, verheddert in seinen Umhang, mit verrutschtem Hut und schnaubend vor Zorn im Dreck.
    Da vom ursprünglichen Plan sowieso nichts übrig war, hielt Angie den Augenblick für gekommen zu improvisieren. Mit vier Riesenschritten war sie bei dem gestürzten König, mit zwei Hieben stieß sie die Wachen weg, die sich ihr in den Weg stellen wollten, und unter einem ihrer Komantschenschreie riss sie Kosongo den Hut vom

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