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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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wiederzusehen. In Gedanken legte er sich sogar schon die Worte zurecht, mit denen er seine Erlebnisse schildern würde, obwohl ihm wahrscheinlich sowieso keiner glauben würde. Wer von seinen Freunden sollte ihm auch abnehmen, dass er bei Leuten aus der Steinzeit gewesen war und jetzt vielleicht sogar El Dorado finden würde?
    Hier, am Fuß des Tepuis, wurde ihm bewusst, dass das Leben voller Überraschungen steckt. Früher hatte er nie an so etwas wie Schicksal geglaubt, denn das hätte doch geheißen, keine Wahl zu haben, und er war sich immer sicher gewesen, dass jeder sein Leben nach den eigenen Vorstellungen frei gestalten kann, und war selbst entschlossen gewesen, aus seinem Leben wirklich etwas zu machen, Erfolg zu haben und glücklich zu sein. Jetzt fand er all das absurd. Hier konnte er sich nicht mehr bloß auf seine Vernunft verlassen, hier befand er sich auf unbekanntem Gebiet, wo es auf Träume, Eingebungen und Magie ankam. Es gab so etwas wie Schicksal, und manchmal musste man sich in ein Abenteuer stürzen und es irgendwie durchstehen, so wie damals, als ihn seine Großmutter ins Wasser geschubst hatte und er mit seinen vier Jahren hatte schwimmen müssen. Auch jetzt blieb ihm nichts anderes übrig, als in die geheimnisvolle Welt ringsum einzutauchen. Aber riskant war es doch. Schließlich war er fast allein in einem der entlegensten Winkel der Erde, wo alle Regeln, die er kannte, außer Kraft gesetzt waren. Aber eins musste er zugeben: Kate Cold hatte ihm einen riesigen Gefallen getan, als sie ihn aus seinem sicheren Alltag in Kalifornien herausgerissen und in diese wundersame Welt geworfen hatte. Nicht bloß durch Tahama und seine Feuerameisen hatte er die Kindheit hinter sich gelassen, auch dieses Prachtexemplar von einer Großmutter hatte seinen Teil dazu beigetragen.
    An einem Bach, der hier floss, forderte Walimai sie auf, sich ein bisschen auszuruhen und auf ihn zu warten, und ging alleinweiter. Die Hochebene war hier nicht so dicht bewaldet, und die Mittagssonne lastete bleischwer auf den Köpfen der beiden Wartenden. Nadia und Alex stürzten sich ins Wasser und scheuchten die Zitteraale und Schildkröten vom Grund auf, während Borobá am Ufer Mücken fing und sich den Pelz lauste. Alex fühlte sich mit Nadia pudelwohl, sie lachten miteinander, und er hörte auf sie, weil sie sich in dieser Umgebung viel besser auskannte als er. Es war schon komisch, aber er bewunderte sie fast, und dabei war sie doch erst so alt wie seine Schwester Andrea. Manchmal ertappte er sich dabei, dass er sie mit Cecilia Burns verglich, bloß kam er damit nicht sehr weit: Die beiden hatten überhaupt nichts gemeinsam.
    Cecilia Burns wäre im Urwald so verloren wie Nadia in einer Stadt. Cecilia sah mit ihren fünfzehn Jahren schon aus wie eine junge Frau; er war nicht als Einziger in sie verknallt, eigentlich träumten alle Jungs an seiner Schule von ihr. Nadia dagegen war noch so kurvenlos und dünn wie eine Binse, und unter ihrer sonnengebräunten Haut konnte man die Rippen zählen; sie war ein geschlechtsloses Wesen, das nach Wald roch. Aber sie konnte einem trotzdem Respekt einflößen: Was sie sagte, hatte Gewicht und war nicht bloß dahergeredet. Vielleicht lag es daran, dass sie keine Schwestern oder Freundinnen in ihrem Alter hatte, jedenfalls benahm sie sich wie eine Erwachsene, war manchmal sehr ernst, ruhig und aufmerksam und überhaupt ganz anders als diese Mädchen, die Alex mit ihrem Gegacker den letzten Nerv töteten. Er konnte es nicht ausstehen, wenn die Mädchen miteinander tuschelten und kicherten, dachte immer, sie hätten es mit ihm, und kam sich veralbert vor. »Wir reden nicht dauernd über dich, Alexander Cold, es gibt interessantere Gesprächsthemen«, hatte Cecilia Burns einmal vor der ganzen Klasse zu ihm gesagt. So etwas, dachte er, würde Nadia ihm nie antun.
    ~
    Der alte Schamane wirkte noch immer tatkräftig und gelassen, als er einige Stunden später mit zwei Stöcken zurückkehrte, die an einem Ende mit einem ähnlichen Harz bestrichen waren, wie es dieIndianer für den Aufstieg hinter dem Wasserfall benutzt hatten. Er sagte, er habe den Eingang zum Berg der Götter gefunden, und nachdem sie Pfeil und Bogen, die dort nicht verwendet werden durften, versteckt hatten, gebot er Alex und Nadia, ihm zu folgen.
    Am Fuß des Tepuis wuchs hohes Farnkraut und bildete ein einziges grünes Knäuel. Sie mussten sich bedächtig einen Weg durch das Dickicht bahnen. Einmal in dieses Gestrüpp aus

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