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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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riesigen Pflanzen eingetaucht, sah man keinen Himmel mehr, man befand sich in einer Welt aus Blättern, in der die Zeit stillstand und die Wirklichkeit verschwamm. Immer tiefer drangen sie in diesen Irrgarten aus zuckenden Farnwedeln vor, in dem der Tau einen Geruch nach Moschus verströmte, leuchtende Insekten sie umschwirrten und aus fleischigen Blüten zäher, bläulicher Honig troff. Die Luft war dick wie Raubtieratem und erfüllt von einem anhaltenden Sirren, die Steine unter ihren Füßen fühlten sich glühend heiß an, und die Erde hatte die Farbe von Blut. Alex legte eine Hand auf Walimais Schulter und streckte die andere nach Nadia aus, denn wenn sie
    nicht dicht zusammenblieben, würden die Farnwedel sie schlucken, und sie würden einander nie wiederfinden. Borobá klammerte sich an seine Herrin und spähte still und aufmerksam um sich. Sie mussten die dünnen Spinnennetze durchtrennen, die vor ihren Augen wie Spitzendeckchen zwischen die Blätter gewebt und mit Mücken und Tautropfen besetzt waren. Sie konnten kaum die eigenen Füße erkennen und fragten sich schon nicht mehr, was das für eine rote, klebrige und lauwarme Pampe war, in die sie manchmal bis zu den Knöcheln einsanken.
    Alex konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie der Schamane hier einen Weg wiedererkannte, aber vielleicht führte ihn ja der Geist seiner Frau; dennoch wurde er das Gefühl nicht los, dass sie immer im Kreis gingen und keinen Schritt vorankamen. Das Dickicht umschlang sie mit seinen grünschillernden Armen und bot keinerlei Anhaltspunkte. Auch der Blick auf den Kompass half nicht, denn die Nadel bebte und drehte sich wirr, was ihn bloß darin bestätigte, dass sie im Kreis gingen. Plötzlich blieb Walimai stehen, bog einen der Farnwedel, der sich in nichts von den anderen unterschied, beiseite und gab so den Blick auf ein Loch im Abhang des Berges frei, schmal wie ein Fuchsbau.
    Der Zauberer kroch hinein und sie hinterher. Der Durchgang war eng, aber nach drei oder vier Metern konnten sie sich aufrichten und standen in einer geräumigen Höhle, in die von außen ein schwacher Lichtschein drang. Geduldig schlug Walimai seine Feuersteine gegeneinander, während Alex dachte, dass er nie wieder ohne Streichhölzer aus dem Haus gehen würde. Endlich sprang ein Funke auf das Reisig über, und Walimai brachte das Harz an einer der Fackeln damit zum Brennen.
    In ihrem flackernden Schein sahen sie, wie sich eine dichte, dunkle Wolke aus Tausenden und Abertausenden von Fledermäusen von den Höhlenwänden löste. Um sie her troff Wasser von den Felswänden und verwandelte den Boden der Grotte in einen dunklen See. Nach allen Seiten öffneten sich enge und geräumige Tunnel zu einem undurchschaubaren unterirdischen Labyrinth. Ohne zu zögern, schritt der Indianer auf eine der Öffnungen zu, und Alex und Nadia blieben ihm dicht auf den Fersen.
    Alex fiel die Geschichte vom Faden der Ariadne ein, mit dem es Theseus in einer dieser griechischen Sagen gelungen war, den Weg aus dem Labyrinth zu finden, nachdem er den grässlichen Minotaurus besiegt hatte. Aber er hatte kein Garnknäuel, das er hätte hinter sich herziehen können, und fragte sich, wie sie je wieder dort herausfinden sollten, falls Walimai einmal eine falsche Abzweigung nahm. Die Nadel an seinem Kompass drehte sich ziellos, also mussten sie wohl im Innern eines Magnetfeldes sein. Er wollte mit seinem Taschenmesser den Weg markieren, aber der Fels war hart wie Granit, und für eine einzige Kerbe hätte er Stunden gebraucht. Ein Tunnel folgte auf den nächsten, es ging stetig bergauf im Innern des Tepuis, wo nur diese behelfsmäßige Fackel sie vor der absoluten Finsternis bewahrte. In den Eingeweiden der Erde war es nicht grabesstill, wie Alex vermutet hätte, sondern sie hörten das Flügelschlagen der Fledermäuse, Quietschen der Ratten, Trippelschritte von kleinen Tieren, das Tropfen von Wasser und ein dumpfes, rhythmisches Pochen, einen Herzschlag, als befänden sie sich im Innern eines Lebewesens, eines gewaltigen, schlafenden Tieres. Von den dreien sagte keiner ein Wort, nur Borobá stieß manchmal einen erschrockenen Schrei aus, der von den Wänden des Labyrinths als vielstimmiges Echo zurückgeworfenwurde. Was für Getier haust wohl in diesen Tiefen?, fragte sich Alex. Vielleicht giftige Schlangen und Skorpione? Aber so genau wollte er das gar nicht wissen, er musste einen kühlen Kopf bewahren, so wie Nadia, die wortlos hinter Walimai herging und sich

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