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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Alex fragte ihn, wie alt er sei, wie er es schaffe, sokräftig und gesund zu bleiben. Der Greis antwortete, er habe viele Kinder auf die Welt kommen und zu Vätern und Großvätern werden sehen, er habe sie sterben und ihre Enkelkinder groß werden sehen. Wie viele Jahre? Er zuckte die Achseln: Es kümmerte ihn nicht, oder er wusste es nicht. Er sagte, er sei der Bote der Götter, reise häufig in die Welt der Unsterblichen, in der es keine tödlichen Krankheiten gebe. Alex musste an die Legende von El Dorado denken, in der nicht nur von unermesslichen Reichtümern, sondern auch von einem Jungbrunnen die Rede war.
    »Meine Mutter ist sehr krank …«, sagte er leise und spürte, wie ihm die Tränen in die Augen stiegen. Die Erfahrung, sich im Geist in das Krankenhaus in Texas zu versetzen, war noch so greifbar, dass ihm jede Einzelheit vor Augen stand; er hatte den Medikamentengeruch noch in der Nase und konnte ihre schmalen Knie unter dem Bettlaken an seiner Stirn spüren.
    »Wir sterben alle«, sagte der Schamane.
    »Aber sie ist doch noch so jung.«
    »Manche gehen jung, andere als Greise. Ich habe zu lange gelebt und wäre froh, meine Gebeine würden in der Erinnerung der anderen Ruhe finden«, sagte Walimai.
    ~
    Um die Mittagszeit erreichten sie den Fuß des höchsten Tepuis im Auge der Welt, einen Felsgiganten, dessen Gipfel sich in einer Krone aus weißen Wattewolken verlor. Walimai erklärte, die Wolken würden den Blick niemals freigeben und keiner, nicht einmal der mächtige Rahakanariwa habe diesen Ort je besucht, ohne von den Göttern dazu eingeladen worden zu sein. Seit Anbeginn der Zeit, als der Mensch aus der Wärme des Vaters Sonne, dem Blut des Mondes und dem Lehm der Mutter Erde geschaffen worden war, wüssten die Nebelmenschen um die Wohnstatt der Götter in diesem Berg. Von Generation zu Generation hätten sie jemanden, immer einen Schamanen, der sich vielen Mühen der Reinigung unterzogen hatte, dazu ausersehen, den Tepui zu besuchen und als Bote zu dienen. Dies sei seine Aufgabe, und er sei viele Male dort gewesen, habe mit den Göttern gelebt und kenne ihreGewohnheiten. Er erzählte, dass er sich Sorgen mache, weil er noch immer keinen Nachfolger unterrichtet habe. Wenn er starb, wer würde dann Bote sein? In allen seinen Visionen hatte er nach einem Nachfolger gesucht, aber kein Hinweis war ihm zu Hilfe gekommen. Nicht jede Person konnte zum Boten ausgebildet werden, es musste jemand sein, der mit der Seele des Schamanen geboren war, die Kraft des Heilens besaß, Ratschläge geben und Träume deuten konnte. Diese Gaben zeigten sich schon sehr früh; man musste allen Verlockungen standhalten und den eigenen Körper beherrschen: Ein guter Schamane hatte keine Wünsche und Bedürfnisse. Das ist in Kürze, was Alex und Nadia von der langen Rede des Zauberers verstanden, der im Kreis erzählte, immer wieder zum Ausgangspunkt zurückkehrte, sich wiederholte, als sagte er ein nicht enden wollendes Gedicht auf. Jedenfalls war klar, dass außer Walimai niemand befugt war, das Tor zur Welt der Götter zu passieren, wenngleich es Ausnahmesituationen gegeben haben musste, in denen auch andere Indianer hindurchgegangen waren. Dies würde nun das erste Mal sein, dass fremden Besuchern Zutritt gewährt wurde.
    »Wie sieht das Zuhause der Götter aus?«, fragte Alex.
    »Es ist größer als das größte Schabono, strahlend und gelb wie die Sonne.«
    »El Dorado! Es ist die legendäre Stadt, nach der die Eroberer Amerikas gesucht haben, oder?« Alex wurde ganz zittrig vor Aufregung.
    »Kann sein, kann auch nicht sein«, antwortete Walimai, der noch nie eine Stadt gesehen hatte und sich weder Gold noch die Eroberer Amerikas vorstellen konnte.
    »Wie sehen die Götter aus? So wie dieses Wesen, das wir die Bestie nennen?«
    »Kann sein, kann auch nicht sein.«
    »Warum sollten Nadia und ich herkommen?«
    »Wegen der Visionen. Die Nebelmenschen können durch einen Adler und einen Jaguar gerettet werden, deshalb seid ihr in die verborgene Wohnstatt der Götter eingeladen.«
    »Das ist eine große Ehre. Und wir verraten auch ganz bestimmt niemandem, wo der Eingang ist …«, versprach Alex.
    »Das könnt ihr auch nicht. Falls ihr lebend herauskommt, werdet ihr den Weg vergessen«, antwortete der Indianer bloß.
    Falls ich lebend herauskomme … Au weia, eigentlich hatte ich nicht vor, jung zu sterben, dachte Alex. Trotz all der Gefahren, in die er auf dieser Reise geraten war, zweifelte er nicht daran, seine Familie

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