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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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sie ihren Mut unter Beweis stellen konnten. Immerhin möglich, dachte Alex, dass zusammen mit den ersten Menschen tatsächlich solche Tiere gelebt haben, die man in den Ammenmärchen später zu mächtigen Echsen aufgeplustert hatte, denen das Feuer aus den Nüstern schoss. Der Drache in der Grotte hatte kein Feuer gespien, dafür aber ein bisschen gerochen wie seine Schwester Andrea, wenn sie mal wieder zu tief in die Schachtel mit den Parfümproben gegriffen hatte. Aber was war mit Walimais Frau, dieser Fee, die wie ein Mensch aussah und ihnen auf ihrer sonderbaren Reise nicht von der Seite wich? Na schön, vielleicht würde er später eine Erklärung für sie finden …
    Im schwächer werdenden Schein der Fackel folgten sie Walimai durch immer neue Tunnel. Wieder gelangten sie in Höhlen, aber keine war so atemberaubend wie die erste, obwohl ihnen auch hier merkwürdige Kreaturen begegneten: rot gefiederte Vögel, die vier Flügel hatten und knurrten wie Hunde, und einige weiße Katzen mit blinden Augen, die sie fast angegriffen hätten, sich aber zurückzogen, als Nadia in Katzensprache besänftigend auf sie einredete. Eine Höhle war überschwemmt, und Borobá musste auf Nadias Kopf klettern, weil ihnen das Wasser bis zum Hals reichte, als sie hindurchwateten, während goldene, geflügelte Fische zwischen ihren Beinen kreuz und quer schwammen, plötzlich zum Flug ansetzten und sich in der Dunkelheit der Tunnel verloren.
    In einer anderen Höhle hing dichter purpurfarbener Nebel wie manchmal, wenn der Morgen dämmert, und aus dem nackten Fels sprossen Blumen, was Alex sich nicht erklären konnte. Walimai streifte eine davon mit seiner kurzen Lanze, und sofort schossen zwischen den Blütenblättern fleischige Tentakel hervor, die ihre Beute umschlingen wollten. An einer Tunnelbiegung sahen sieim rötlich flackernden Schein der Fackel eine Nische, und darin ruhte etwas, das aussah wie ein Kind, eingeschlossen in Harz wie ein Käfer in einem Bernsteinbrocken. Bestimmt liegt dieses Wesen seit Menschengedenken in diesem luftdichten Grab, dachte Alex, und kann so noch Tausende von Jahren überdauern. Wie war es hierher gekommen? Woran war es gestorben?
    ~
    Endlich kam der Ausgang des riesigen Labyrinths in Sicht. Sie traten ins Freie, konnten aber in der gleißenden Helligkeit für einen Moment nichts erkennen. Dann sahen sie, dass sie auf einer Art Balkon standen, einem Felsvorsprung: Der Berg umschloss einen tiefen Talkessel. Wer das Labyrinth im Bauch des Tepuis durchlief, gelangte schließlich in die Wunderwelt, die er barg. Über ihren Köpfen ragten senkrecht die bewachsenen Hänge des Berges auf und verloren sich in den Wolken. Blauen Himmel sah man nicht, nur ein undurchdringliches, watteweißes Dach, in dem sich das Sonnenlicht brach und ein merkwürdiges optisches Schauspiel bot: sechs durchsichtige Monde, die in einem milchigen Himmel schwammen. Es waren die Monde, die Alex im Camp von Mauro Carías gesehen hatte. Und jede Menge merkwürdige Vögel gab es hier: manche durchscheinend und schwerelos wie Quallen, andere massig wie schwarze Kondore, und einige ähnelten dem Drachen aus der Grotte.
    Sie mussten durch die vielen Tunnel ein gutes Stück nach oben gestiegen sein. Unter ihnen lag ein rundes Tal, das aussah wie ein grünblauer Garten im Dunst. Wasserfälle, Rinnsale und kleine Bäche stürzten die Abhänge hinab und speisten verschiedene Seen, die so ebenmäßig dalagen, als wären sie künstlich angelegt. Und dort, in der Mitte, erhob sich stolz und glitzernd wie eine Krone El Dorado. Nadia und Alex unterdrückten einen Schrei, ganz geblendet vom gleißenden Strahlen der Stadt aus Gold, dem Zuhause der Götter.
    Walimai gab ihnen Zeit, sich von ihrer Verblüffung zu erholen, und deutete dann auf die breiten, in den Fels gehauenen Stufen, die sich von dem Vorsprung, auf dem sie standen, ins Talhinunterschlängelten. Aber auch beim Abstieg kamen sie aus dem Staunen nicht heraus; diese Pflanzen, die Bäume, Blumen und Sträucher waren genauso wunderlich wie die Tiere, die es hier gab. Mit jedem Schritt nach unten wurde es heißer und schwüler, wucherte das Grün verschwenderischer, waren die Bäume höher und dichter belaubt, die Blüten duftender und die Früchte praller. Aber obwohl alles so schön aussah, wirkte es nicht friedlich, sondern unterschwellig bedrohlich wie eine geheimnisvolle Venusfliegenfalle. Die Natur bebte, keuchte, wuchs vor ihren Augen und lag auf der Lauer. Sie sahen Fliegen, die

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