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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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T-Shirt aus und band es über Nase und Mund. Seine Augen tränten. Er musste höllisch aufpassen, ein falscher Schritt, und er würde in die Grube stürzen.
    Die Höhle war weitläufig und verwinkelt und wurde von dem rötlich flackernden Schein der brodelnden Lava ausgeleuchtet. Weiter rechts öffnete sich noch eine Grotte, und Alex spürte die Angst, als er sie betrat, denn sie lag fast vollständig im Dunkel. Aber dafür war es auch nicht so unerträglich heiß hier. Er war schweißgebadet, durstig und am Ende seiner Kräfte; nie und nimmer würde er diesen Weg noch einmal in umgekehrter Richtung schaffen. Und wo war die Quelle?
    Plötzlich spürte er einen starken Luftzug, und als stünde er mitten in einer riesigen Metalltrommel, brachte im gleichen Augenblick eine fürchterliche Vibration alle seine Nerven zum Beben. Unwillkürlich hielt er sich die Ohren zu, aber das hier war kein Lärm, sondern eine unerträgliche Energie, gegen die man nichts ausrichten konnte. Er blickte sich um. Und da sah er sie. Eine gigantische Fledermaus mit einer Flügelspannweite von bestimmt fünf Metern. Poncho hätte neben ihrem bärengroßen Rumpf zierlich ausgesehen, und in ihrem Schädel klaffte ein Maul, das mit langen Raubtierzähnen gespickt war. Sie war nicht schwarz, sondern ganz weiß, eine Albinofledermaus.
    In Todesangst schoss es Alex durch den Kopf, dass dieser Vampir, genau wie die Bestien, einer der letzten Überlebenden aus der Urzeit sein musste. Dass Fledermäuse nichts sehen konnten, würde ihm auch nicht helfen, denn diese Vibration da eben, das war ihre Orientierungshilfe: Der Vampir wusste genau, wo und wie groß dieser Eindringling in seine Unterwelt war. Wieder ein Luftzug: Die Fledermaus schlug mit den Flügeln, zum Angriff bereit. War sie der Rahakanariwa, der schreckliche blutsaugende Vogel der Indianer?
    In Alex’ Kopf arbeitete es fieberhaft. Er wusste, an eine Flucht war nicht zu denken, er konnte unmöglich in die erste Höhle zurück und über diesen holprigen Felsboden losrennen, viel zu groß war das Risiko, in die kochende Lava zu stürzen. Unwillkürlich griff er nach dem Taschenmesser, obwohl diese Waffe gegen einen so monströsen Feind vollkommen lächerlich war. Seine Fingerhatten das Flötenetui kaum gestreift, da löste er es auch schon vom Gürtel, steckte die Flöte hastig zusammen, riss sich das T-Shirt vom Gesicht und setzte das Instrument an die Lippen. Wie ein Stoßgebet flüsterte er gerade noch den Namen seines Großvaters, beschwor Joseph Cold, ihm beizustehen, und dann spielte er.
    Die ersten Töne hallten kristallklar, frisch und rein an den Höhlenwänden wider. Der Riesenvampir fuhr zusammen, zog die Flügel ein und schien zu schrumpfen. Womöglich lebte er seit Jahrhunderten in der einsamen unterirdischen Stille, und diese Klänge schlugen in seinen empfindlichen Ohren ein wie Bomben, denn er zappelte und wand sich, als würde er von Millionen spitzer Pfeile gepiesackt. Wieder stieß er einen für menschliche Ohren unhörbaren und dennoch schmerzhaften Schrei aus, aber die Vibration mischte sich mit der Musik, und der verstörte Vampir wusste das Echo nicht zu deuten.
    Alex spielte, und nach und nach wich die weiße Riesenfledermaus zurück, bis sie sich wie ein geflügelter Eisbär in einen Winkel der Höhle drückte, die Klauen ausgestreckt, die Zähne gefletscht, aber vollkommen starr. Nicht zu fassen, dachte Alex, welche Macht diese Flöte hat, ohne sie hätte er wahrscheinlich längst das Zeitliche gesegnet. Die Fledermaus hatte den Blick auf ein Rinnsal freigegeben, das aus der Felswand quoll, und Alex wusste sofort, dass er am Ziel seiner Reise war: Er stand vor dem Wasser des Lebens. Es war nicht der sprudelnde Brunnen inmitten eines Gartens, von dem die Legenden berichteten. Dies war kaum mehr als ein dünner Wasserfaden, der aus dem nackten Fels tröpfelte.
    ~
    Ohne mit dem Spielen aufzuhören, näherte sich Alex zögernd dem monströsen Vampir und lauschte dabei nur auf sein Herz und nicht auf seinen Kopf. Bei dem, was hier vorging, konnte er sich unmöglich bloß auf seinen Verstand oder die Logik verlassen, er musste es machen wie beim Bergsteigen oder Flötespielen: auf seinen Instinkt vertrauen. Er versuchte, sich in die Lage des Tieres zu versetzen, das bestimmt ähnlich große Angst hatte wie er selbst. Wahrscheinlich war die Fledermaus noch nie einem Menschenbegegnet, hatte nie solche Töne gehört und war wie gelähmt, weil die Flöte für ihr Gehör

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