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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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verführerisch. Er wollte sich in das weiße Wasser stürzen, wollte sich satt trinken, sich den Staub abwaschen und das Blut von seinen aufgeschlagenen Ellbogen und Knien. Es war nicht auszuhalten, er musste einfach zu ihr hinüber, und sie rief doch auch nach ihm. Schon berührten seine Zehenspitzen das Wasser, da stutzte er: Diese Erscheinung da drüben sah aus wie Cecilia Burns, hatte dasselbe kastanienbraune Haar, dieselben blauen Augen, dieselbe gelangweilte Geste, mit der sie sich die Stirnlocke aus dem Gesicht strich. In irgendeinem Teil seines Gehirns war noch ein Rest Denkvermögen geblieben, und der warnte ihn jetzt, dass diese Sirene eine Ausgeburt seiner Phantasie war, genau wie diese Quallen, die da glibberig und durchsichtig durch die fahl beschienene Höhle segelten. Er kramte in seinem Gedächtnis nach allem, was er über die Mythen der Indianer wusste; Walimai hatte doch etwas über die Entstehung der Welt erzählt, etwas über einen Fluss aus Milch, der alle Saat des Lebens in sich trägt, aber auch Fäulnis und Tod. Nein, das hier konnte unmöglich das Wunderwasser sein, das seine Mutter wieder gesund machen würde; sein Kopf gaukelte ihm bloß etwas vor, um ihn von seiner Aufgabe abzubringen. Er durfte keine Zeit mehr verlieren, jede Minute war kostbar. Er zog sich das T-Shirt über die Nase, bevor ihm dieser widerwärtige Geruch völlig den Verstand nahm. Er sah sich um, entdeckte einen schmalen Pfad, der zunächst ein Stück das Ufer des Sees säumte und sich dann mit dem Bachlauf im Dunkel verlor; dort entlang floh er.
    ~
    Alex folgte dem Pfad, der ihn vom See und der Spukgestalt des Mädchens wegführte. Es war seltsam, aber auch hier herrschte eine fahle Helligkeit, jedenfalls musste er nicht mehr blind vorwärts kriechen. Den Geruch nahm er jetzt immer schwächer wahr und schließlich gar nicht mehr. Geduckt, damit er sich nicht den Kopf an der Felsdecke stieß, hastete er auf dem schmalen Grat weiter, passte höllisch auf, nicht in den Bach dort unten abzurutschen, der ihn womöglich mitgerissen hätte. Er hätte gerne herausgefunden, was das für eine milchigweiße Flüssigkeit war, sie roch ein bisschenwie Salatsoße, aber er hatte keine Zeit, sie genauer anzusehen. Der Pfad war mit einem glitschigen Moder bedeckt, der zu brodeln schien, weil sich eine Milliarde winziger Larven, Käfer und Würmer darin wanden, und überhall hockten große bläuliche Kröten, die so durchsichtig waren, dass man unter ihrer Haut die pochenden Organe erkennen konnte. Ihre langen Zungen, gespalten wie die von Schlangen, schnellten vor und streiften Alex’ Waden. Er hätte einiges dafür gegeben, seine Stiefel wiederzuhaben, denn so blieb ihm nichts anderes übrig, als diese kalten, glibberigen Viecher mit seinen bloßen Füßen auf die Seite zu kicken, und dabei schüttelte es ihn jedes Mal vor Ekel. Zweihundert Meter weiter waren die Moderschicht und die Kröten plötzlich verschwunden, und der Weg wurde breiter. Erleichtert sah er sich um und stutzte, denn die Felswände waren in schillernden Farben gesprenkelt. Er trat näher heran: Überall Edelsteine, Gold- und Silberadern. Er klappte sein Schweizer Messer auf, schabte über den Fels und konnte die Steine mühelos herauslösen. Was waren das nur für welche? Manche erkannte er an den Farben, da das Tiefgrün der Smaragde, dort das Glutrot des Rubins. Er stand inmitten eines sagenhaften Schatzes: Hier lag das eigentliche El Dorado, nach dem die Abenteurer seit Jahrhunderten gierten.
    Er brauchte die Felswände bloß ein bisschen mit seinem Messer zu bearbeiten und würde ein Vermögen zusammenbekommen. Wenn er Walimais Kalebasse damit füllte, würde er als Millionär nach Kalifornien zurückkehren, könnte seiner Mutter die teuerste Privatklinik bezahlen, seinen Eltern eine Prachtvilla kaufen und seine Schwestern auf unbezahlbare Eliteschulen schicken. Und für sich selbst? Er würde sich einen Schlitten kaufen, bei dessen Anblick seine Freunde vor Neid erblassten und Cecilia Burns vor Bewunderung den Mund nicht mehr zubekam. Diese Edelsteine waren die Chance seines Lebens: Er würde tun und lassen können, was er wollte, Musik machen, Bergsteigen oder was auch immer, ohne sich im geringsten darum kümmern zu müssen, wie er zu Geld kam … Aber nein! Was stellte er sich da vor? Diese Edelsteine durften doch nicht nur für ihn sein, er musste den Indianern damit helfen. Als schwerreicher Mann würde er genug Einfluss haben, um zu tun, wofür Iyomi ihn

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