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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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ohrenbetäubend klang. Aber jetzt musste er unbedingt die Kalebasse füllen und vor Einbruch der Nacht wieder oben sein. Er hatte keine Ahnung, wie lange er schon in dieser Unterwelt war, aber so viel stand fest: Er wollte schleunigst hier raus.
    Mit der rechten Hand spielte er einen einzigen Ton, hielt die Kalebasse in der linken und zwängte sie an dem Vampir vorbei auf die Quelle zu, doch kaum waren die ersten Tropfen hineingefallen, wurde das Rinnsal schwächer und versiegte schließlich ganz. Es war so niederschmetternd, dass Alex am liebsten mit beiden Fäusten auf den Fels eingeschlagen hätte. Aber da war ja noch dieses fürchterliche Vieh, das wie ein Wächter neben ihm aufragte.
    Und da, als er schon umkehren wollte, fiel ihm ein, was Walimai über das wichtigste Gesetz von Geben und Nehmen gesagt hatte: Gib so viel, wie du nimmst. Bloß hatte er kaum etwas zu geben: den Kompass, das Schweizer Messer und seine Flöte. Den Kompass konnte er hergeben, der war sowieso kaum für etwas zu gebrauchen, und das Taschenmesser, na ja, darauf konnte er notfalls auch verzichten, aber von seiner Flöte konnte er sich unmöglich trennen, sie war doch ein Erbstück von seinem berühmten Großvater und verlieh ihm so viel Macht. Ohne sie wäre er verloren. Er legte Kompass und Taschenmesser auf den Boden und wartete. Nichts. Nicht ein Tropfen quoll aus dem Fels.
    Da begriff er, dass nichts auf der Welt für ihn so kostbar war wie dieses Wasser, das seine Mutter vielleicht wieder gesund machen würde. Er musste seinen wertvollsten Besitz dafür hergeben. Die letzten Klänge verhallten noch an den Höhlenwänden, als er die Flöte auf die Erde legte. Sofort begann das Rinnsal erneut zu fließen. Die Zeit schien stillzustehen, während das Wasser in die Kalebasse lief und er aus den Augenwinkeln die lauernde Fledermaus beobachtete. Er war ihr so nah, dass ihm ihr Grabgeruch in die Nase stieg; er konnte ihre Zähne zählen und empfand tiefes Mitleid für sie, weil sie so unendlich einsam war, aber damit durfte er sich jetzt nicht aufhalten. Als die Kalebasse überzulaufen begann, wich er vorsichtig zurück. Er schaffte es in die andere Höhle, wo das spratzende Gebrodel der kochenden Lava aus denEingeweiden der Erde drang, und zwängte sich durch die Öffnung. Kurz dachte er daran, das Loch wieder mit Steinen zu verschließen, aber dafür hatte er keine Zeit, und außerdem war der Vampir viel zu groß und würde ihn nicht verfolgen können.
    Der Rückweg ging schneller, denn Alex wusste ja schon, was ihm bevorstand. Die Edelsteine lockten ihn nicht mehr, und als er zu dem milchigen See kam, wo die Fata Morgana von Cecilia Burns auf ihn wartete, hielt er sich zum Schutz gegen das stinkende Gas die Nase zu und hastete weiter. Am schwierigsten war es, wieder durch den engen Tunnel zu kriechen und die Kalebasse dabei gerade zu halten. Einen Deckel hatte sie zwar: ein Stück Leder, mit einer Schnur festgebunden; aber richtig dicht war das nicht, und Alex wollte keinen einzigen Tropfen von dem kostbaren Wasser verschütten. Diesmal schien ihm der Durchgang, obwohl drückend und finster, weniger grauenvoll: Am Ende warteten Licht und Luft.
    ~
    Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne verfingen sich in der Wolkendecke über dem Tal, die sich in allen Rot- und Gelbtönen färbte. Schon verblassten die sechs Lichtmonde am Himmel des Tepuis, da kehrten Nadia Santos und Alexander Cold zurück. Walimai erwartete sie im Amphitheater der goldenen Stadt, vor sich den Rat der Götter, und Borobá war bei ihm. Kaum hatte der Affe seine Herrin erblickt, raste er los und hängte sich erleichtert an ihren Hals. Nadia und Alex waren abgekämpft, hatten überall Schrammen und blaue Flecken, aber beide brachten den Schatz, den zu suchen sie ausgezogen waren. Der greise Zauberer wirkte kein bisschen überrascht, war gelassen wie immer, als er den beiden entgegenging und sagte, sie müssten sofort aufbrechen. Es bleibe keine Zeit, um sich auszuruhen, sie müssten den Berg über Nacht durchqueren und wieder hinausgehen ins Auge der Welt.
    »Ich habe meinen Talisman hergeben müssen.« Nadia sah Alex traurig an.
    »Und ich meine Flöte.«
    »Die kannst du ersetzen. Die Musik machst doch du und nicht die Flöte.«
    »Und du hast dem Talisman die Macht gegeben, die er hatte«, versuchte Alex sie aufzumuntern.
    Walimai betrachtete sich die drei Kristalleier eingehend und roch an dem Wasser in der Kalebasse. Schließlich nickte er sehr ernst. Er löste

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