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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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gar nicht vergleichen. Da war er doch fast am Gipfel gewesen, jetzt lag er hier im Innern eines Berges. Dort war sein Vater bei ihm gewesen, hier war er ganz allein. Völlig entkräftet überließ er sich der Verzweiflung. Endlos lange strömte nichts als Dunkelheit in seine Gedanken, er wusste nicht mehr, wo er war, wollte am liebsten tot sein, hatte aufgegeben. Und da, als sein Geist sich schon immer weiter in die Finsternis entfernte, drang die Stimme seines Vaters durch den Nebel in seinem Kopf, erst nur als ein kaum hörbares Flüstern, dann deutlicher. Was hatte ihm sein Vater beim Klettern eingeschärft? Ruhe, Alexander, suche deine Mitte, den Ort, an dem deine Kraft sitzt. Atme. Beim Einatmen lädst du dich mit Energie auf, beim Ausatmen löst du die Spannung. Denk nicht, hör auf deinen Instinkt. Er selbst hatte doch fast wörtlich dasselbe zu Nadia gesagt, als sie zum Auge der Welt hinaufgestiegen waren. Wieso hatte er nicht mehr daran gedacht?
    Er konzentrierte sich aufs Atmen: Energie einatmen, egal, ob es hier Sauerstoff gab, seine Panik ausatmen, sich entspannen, die lähmenden Schreckensvisionen abschütteln. Ich schaffe es, ich schaffe es … Langsam kehrte das Gefühl in seinen Körper zurück. Er stellte sich seine Zehen vor und entspannte sie eine nach der anderen, dann die Beine, die Knie, die Hüfte, den Rücken, die Arme bis in die Fingerspitzen, den Nacken, den Unterkiefer, die Augenlider. Er bekam schon besser Luft, hatte aufgehört zu schluchzen. Er suchte seine Mitte, die er sich als einen roten, bebenden Punkt auf der Höhe seines Bauchnabels vorstellte. Er horchte auf seinen Herzschlag. Er spürte ein Prickeln auf der Haut, dann Hitze in seinen Adern, fühlte neue Kraft und konnte wieder klar denken.
    Alex stieß einen erleichterten Schrei aus. Es dauerte einen Moment, bis der Ruf irgendwo abprallte und er das Echo hören konnte. So machten die Fledermäuse das doch, so fanden sie sich in der Dunkelheit zurecht. Er rief noch einmal, horchte darauf, dass ihm das Echo die Entfernung bis zur nächsten Tunnelbiegung verriet. Er hatte einen Weg durch die Dunkelheit gefunden.
    ~
    Den Rest seiner Reise im Tunnel nahm er nur noch mit halbem Bewusstsein wahr, bewegte sein Körper sich von allein, als könnte sein Herz den Weg in der Finsternis sehen. Hin und wieder tauchte Alex für kurze Zeit aus seiner Benommenheit auf, und dann schoss ihm durch den Kopf, dass die Luft hier mit irgendwelchen Gasen angereichert sein musste, die sein Hirn angriffen. Später sollte es ihm vorkommen, als hätte er einen Traum durchlebt.
    Als er schon glaubte, dieser enge Tunnel werde niemals enden, hörte er Wasser plätschern wie von einem Bach, und ein heißer Luftzug strömte in seine geschundene Lunge. Das machte ihm Mut. Er schob sich um eine Biegung und meinte plötzlich in der unterirdischen Schwärze etwas erkennen zu können. Da war doch etwas, ein Schimmer, der heller und heller wurde. Alex kroch darauf zu, hoffnungsvoll jetzt, und das Licht wurde deutlicher, die Luft besser. Wenig später erreichte er eine Höhle, die irgendeine Verbindung nach draußen haben musste, denn sie war schwach erhellt. Ein merkwürdiger Geruch stieg ihm in die Nase, durchdringend und ein bisschen widerwärtig wie eine Mischung aus Essig und welken Blumen. Hier gab es die gleichen schimmernden Steinformationen wie im Labyrinth. Die glatten Bruchkanten der Kristalle wirkten wie Spiegel, die das spärliche Licht zurückwarfen und vervielfachten. In einen kleinen See vor ihm ergoss sich ein Bach, dessen Wasser weißlich war wie Magermilch. Nach diesem grabähnlichen Tunnel konnte sich Alex an dem See und dem Bach gar nicht satt sehen. Hatte er das Wasser des Lebens gefunden? Von dem Geruch wurde ihm schwindlig, bestimmt war das ein Gas, das aus den Tiefen quoll, vielleicht ein giftiges Gas, das sein Gehirn betäubte.
    Ein zärtliches Wispern riss ihn aus den Gedanken. Da, am anderen Ufer, war irgendwas, nur ein paar Meter entfernt, und als er die Augen zusammenkniff, lösten sich die Umrisse einer menschlichen Gestalt aus dem Zwielicht. Ganz sicher war er sich nicht, aber der Stimme und der Größe nach musste es ein Mädchen sein. Unmöglich, dachte er, es gibt keine Sirenen, ich bin dabei, den Verstand zu verlieren, das kommt von dem Gas, von diesem Geruch; aber das Mädchen sah ganz echt aus, ihr langes Haar flatterte ein bisschen im Luftzug, ihre Haut schimmerte, sie bewegte sichwie ein Mensch, und ihre Stimme klang

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