Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus
gewesen und hatte auch wieder mal gegen den Paragraphen 48 verstoßen. Das Gericht verurteilte ihn zu vier Jahren und acht Monaten Haft sowie anschließendem dreijährigem Berlin-Verbot. Er sollte die drei Jahre nach der Haft auf der Insel Hiddensee verbringen. Bei der Urteilsverkündung pöbelte er den Staatsanwalt an und beschimpfte den Richter. Danach riß mein direkter Kontakt zu Frieder Meisel für lange Zeit ab, und es kursierten die widersprüchlichsten Meldungen über ihn. Es wurde bekannt, daß der eine oder andere nicht lebend aus den Gefängnissen Brandenburg und Waldheim herausgekommen war. Eines Tages hörte ich, daß auch Freddy im Knast umgekommen sei. Diese Nachricht verschärfte meinen Haß auf den Staat DDR bis zum Extrem.
Freddy, mein ältester Freund
Freddy ist Fliesenleger von Beruf und bis heute noch nicht verheiratet. Er hat sich an seinem Körper inzwischen mindestens zweihundert Tätowierungen anbringen lassen, davon stellen ungefähr einhundertfünfzig das Hakenkreuz in den verschiedenen Versionen dar. Auf der rechten Schulter trägt er ein großes D für Deutschland.
Als ich Freddy in der siebenten Klasse kennenlernte, wohnte er in einem Neubauviertel südlich der Frankfurter Allee. In diesen Plattenbauten wohnten damals sehr viele Stasileute.
Die Lehrer haben Freddy schon frühzeitig aufgegeben. Im Unterricht war er meist völlig gelangweilt und maulte nur herum, wenn ihn ein Lehrer gelegentlich ansprach. Ich erinnere mich, daß der Sportlehrer glaubte, Freddy vielleicht doch noch einmal zur Mitarbeit bringen zu können, indem er ihn aufforderte, seine Sportsachen wieder mitzubringen. Freddy erhob daraufhin seine Hand zum Hitlergruß und schrie: »Ja-woll, Herr Obersturmbannführer!«
Die Stasi hatte schon sehr früh ein Auge auf Freddy geworfen, und schon 1979, als Vierzehnjähriger, galt er als »ein potentieller Störer des sozialistischen Zusammenlebens«. Als ich mit den ersten Sprühaktionen begann, war Freddy dabei. In der Nähe des Strausberger Platzes sprühten wir Anarchiezeichen an Häuserwände. Später sprühten wir neben das Anarchiezeichen auch Hakenkreuze. Wir wußten damals weder genau, was das Hakenkreuz eigentlich bedeutete, noch konnten wir seine Wirkung einschätzen. Unsere Zeichen verschwanden immer sofort wieder von den Wänden.
Beide trugen wir damals einen Irokesenschnitt. Jeden Dienstag holte der zuständige Abschnittsbevollmächtigte (ABV) der Deutschen Volkspolizei einen von uns Punks zu sich. Jeder Wohnbezirk hatte einen ABV. Freddy wurde regelmäßig ins Büro des ABV bestellt. Einmal versuchte der ABV, Freddys Irokesenschnitt abzuschneiden. Ich sah durch ein Fenster, wie der Polizist mit einer Schere in der Hand hinter Freddy herlief, um den Schreibtisch herum. Freddy beendete das eher komische Spiel, indem er einen in Reichweite liegenden Gummiknüppel ergriff und ihn dem ABV auf den Schädel schlug. Der Polizist sank sofort zu Boden. Der vierzehnjährige Freddy Meisel erhielt dafür seine erste Jugendhaftstrafe. Er mußte für drei Monate ins Gefängnis.
Nachdem Freddy von der Schule geflogen war, verweigerte er nahezu regelmäßig die Arbeit. Er erschien nur selten an dem ihm zugewiesenen Arbeitsplatz und war der Ansicht, das Geld, das man verdienen könne, nutze sowieso nichts, man könne sich ja eh nichts dafür kaufen. Freddy wurde erneut angeklagt, diesmal wegen Arbeitsbummelei. Der Richter fragte ihn vor der Urteilsverkündung, ob er noch etwas sagen wolle. Frieder Meisel stand auf und sagte: »Ich beantrage die Todesstrafe für mich.« Er wurde zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.
Diese Haft war der Anfang von Freddys langer »Knastkarriere«, er verbrachte fast seine ganze Jugend in den Gefängnissen der DDR.
Bei einem seiner vielen Aufenthalte in Rummelsburg sollte Freddy das Amt des Kübelträgers übernehmen. Dieser Job war bei den Häftlingen äußerst begehrt. Der Kübelträger war für die Verpflegung der Häftlinge verantwortlich. Dieses Privileg garantierte bestes Essen, bot die Möglichkeit, sich täglich zu waschen sowie einmal monatlich ins anstaltseigene Kino zu gehen. In Erwartung von Freddys freudiger Zustimmung verkündete der Erzieher - Freddy war in Jugendhaft - die Nachricht von dieser Beförderung. Freddy sah den Erzieher schweigend an und schrie nach kurzer Zeit: »Ein deutscher Offizier trägt keine Kübel!« Er ergriff den mit Suppe gefüllten Eimer und stülpte ihn dem vor ihm stehenden Mann über den Kopf.
In einem
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