Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus
aufgeschwemmt war er. Göring war trotz seiner Jugend bereits ein überzeugter Nationalsozialist.
Ich erinnere mich seines Kommentars, als die Mauer gefallen war: »Wir sollten versuchen, in der DDR den Nationalsozialismus zu etablieren, die Bundesrepublik kann man getrost an die Juden verschenken.«
Göring wurde ein richtiger neuer Freund. Er bot mir an, bei ihm und seiner Mutter zu wohnen. Da ich nach meiner Scheidung keine Bleibe mehr hatte, nahm ich Görings Angebot dankbar an. Görings Eltern hatten sich frühzeitig getrennt, Mike wuchs als verwöhntes Einzelkind bei seiner Mutter auf. Genau wie ich war er zunächst Punk, dann Skin, ehe er zum überzeugten Neonazi wurde. Sein Großvater hat in der SS oder in der Wehrmacht eine bedeutende Rolle gespielt, er galt für Mike immer als Vorbild. Schon in der Schule fiel Mike durch seine positive Einstellung zum Nationalsozialismus auf. Er wurde deswegen bei »Fahnenappellen« immer wieder gerügt oder mit einem Tadel bestraft. 1988 wurde er erstmals wegen öffentlicher Herabwürdigung verurteilt. Er hatte eine Postkarte verschickt, auf der als Absender stand: »Reichshauptstadt Berlin«. Der Urteilsspruch lautete: Ein Jahr Bewährung, auf zehn Monate angedroht.
Nach einigen Monaten intensiver ideologischer Aufbauarbeit gründete ich zusammen mit ihm die »Bewegung 30. Januar«. Die Kameradschaft hatte sieben Mitglieder, unter ihnen der spätere Erste Vorsitzende der »Nationalen Alternative«, Frank Lutz. Wir hielten damals vor allem nationalsozialistische Schulungen ab, lasen verbotene Bücher aus der Nazizeit, sahen illegal besorgte Videos und machten Zukunftspläne.
Im März 1989 wurde unsere Kameradschaft von der Staatssicherheit gesprengt. Mehrere Wohnungen waren verwanzt und daraufhin Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Gegen Frank Lutz und Mike Prötzke wurden Haftbefehle erlassen. Frank Lutz erhielt aufgrund seiner Vorstrafen eine Freiheitsstrafe von über zwei Jahren. Göring erhielt wegen Besitzes eines vollkommen unbrauchbaren Maschinengewehrs eine Strafe von fast drei Jahren Haft. Zehn Monate dieser Strafe saß er in der Jugendhaftanstalt Ichtershausen in Thüringen ab. Im Dezember 1989, nach der Wende, wurde er begnadigt.
Mike Prötzke, Mitbegründer der »Nationalen Alternative«, war später einer der ersten und radikalsten von denen, die sich von Michael Kühnen wegen dessen Homosexualität getrennt haben. Prötzke gilt heute innerhalb der Neonaziszene als strenger Verfechter jenes Flügels, der sich vor allem an Ernst Rohm und Gregor Strasser orientiert.
Bei der Hausdurchsuchung in Görings Wohnung fand die Stasi ein Foto, auf dem ich zu sehen war, wie ich mit ausgestrecktem Arm den Hitlergruß imitiere. Ich erhielt daraufhin eine Bewährungsstrafe von zehn Monaten und den Paragraphen 48.
Ich wohnte auch weiterhin bei Görings Mutter. Im Sommer 1989 lud mich Frau Prötzke zu einem Urlaub an die Ostsee ein. Dort kamen wir uns auf so eine intensive Weise näher, daß mich dieses Verhältnis nach einigen Wochen, wir waren wieder in Berlin, zu sehr belastete, sie war schließlich die Mutter meines besten Freundes. Ich zog dort aus.
Raus aus der DDR und gleich wieder zurück
Ende August 1989 entschloß ich mich spontan und ohne lange zu überlegen, wie sehr viele junge Leute in meinem Alter, die DDR zu verlassen. Diese Massenflucht wurde später zu einer der unmittelbaren Hauptursachen für das schnelle Ende des Staates DDR.
Ob Du zu der Zeit schon etwas ahntest von diesem Ende, oder ob Du noch immer daran glaubtest, die DDR würde weiterexistieren noch für Jahrhunderte? Ich hatte fast vergessen, daß es Dich überhaupt gab.
Zwar hatte ich irgendwann einen Ausreiseantrag gestellt, aber der wurde seit drei Jahren nicht mehr bearbeitet. Auf dem Bahnhof Lichtenberg stieg ich erst einmal in einen Zug, der mich nach Dresden bringen sollte, um von dort aus weiter nach Prag oder Budapest zu gelangen. Auf dem Dresdner Hauptbahnhof angekommen, wurde ich sofort von einer Polizeistreife kontrolliert. Ich besaß damals nur einen sogenannten PM 12, auf dessen Vorderseite vermerkt stand: »Dokument für eingezogenen Personalausweis.« Mit diesem PM 12 durfte ich überhaupt nicht aus Berlin raus. Der Polizist betrachtete sich diesen Ersatzausweis: »Sie wollen ja wohl offensichtlich die DDR illegal verlassen.«
Ich bestätigte ihm seine Vermutung, weil ich glaubte, es sei jetzt besser, alles auf eine Karte zu setzen. Vielleicht würde man mich nun
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