Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus
endgültig in den Westen abschieben Aber zunächst brachte man mich in die Dresdner Untersuchungshaftanstalt, und nach zweitägiger Vernehmung erhielt ich einen Haftbefehl wegen des Versuchs, illegal die Grenze zu übertreten. Nach vierzehn Tagen Untersuchungshaft in Dresden wurde ich über Bautzen und Cottbus nach Rummelsburg transportiert.
Inzwischen war der 7. Oktober 1989, der vierzigste Jahrestag der Gründung der DDR, »gefeiert« worden. Nach den Ostberliner Krawallen in dieser Nacht wurden Bürgerrechtler in die Haftanstalt Rummelsburg gebracht und dort von Stasileuten brutal und ohne Grund zusammengeschlagen. Ich beobachtete zusammen mit anderen Häftlingen von den Fenstern aus diese völlig einseitige Auseinandersetzung. Plötzlich begannen die Häftlinge das Deutschlandlied zu singen, und die Zusammengeschlagenen auf dem Hof stimmten ein. Die Stasileute hörten auf zu prügeln. Das war für alle ein ungeheurer Moment. Brüllende Wärter liefen durch den Knast und versuchten erfolglos, die Häftlinge ruhigzustellen. Wir sangen und sangen und fanden kein Ende.
Ein paar Wochen später, am 30. Oktober, wurde ich aus der Haftanstalt entlassen. Honecker war abgesetzt worden, und sein Nachfolger Krenz hatte eine Amnestie für inhaftierte Republikflüchtlinge erlassen.
Ein paar Tage später, am 6. November, gelang es mir, mit Hilfe des geliehenen Reisepasses meines Bruders Jens, doch noch über die Tschechoslowakei in die Bundesrepublik zu fliehen. Als ich »drüben« war, konnte ich nur heulen. Endlich war es mir gelungen, dem »Knast« DDR zu entkommen. Als dann drei Tage später die Mauer fiel, hatte sich meine Euphorie verflüchtigt. Das beinahe Unmögliche war mir gelungen - und drei Tage später hatte ich alles auch legal tun können. Aber ich denke nicht, daß ich es dann noch gewollt hätte.
Nach dem Fall der Mauer ging alles plötzlich recht schnell. Durch die jahrelangen Inhaftierungen einzelner Leute und deren überraschende Freilassung konnte gewissermaßen über Nacht eine gewaltbereite rechte Szene in Ostdeutschland entstehen, die in der Lage war, völlig ungewohnte Freiräume zu nutzen. Waren vorher Rechtsradikale und Skinheads auf das schärfste bekämpft worden, so gab es nunmehr sogar die Möglichkeit, legale Parteiarbeit zu betreiben.
Im Januar 1990 traf ich mich zum erstenmal mit einer größeren Gruppe einschlägig bekannter Neonazis aus Westdeutschland. Michael Kühnen, mit dem ich schon vorher in Hamburg gesprochen hatte, Christian Worch und Nero Reisz kamen zum ersten Westberliner Treffen. Am gleichen Tag, kurz vor dem Treffen, war ich noch mit einem Bekannten zusammen. »Bist du schon aufgeregt?« fragte er mich.
»Nein, warum?«
»Na, heute kommt doch der Führer nach Berlin!«
Der »Führer«, das war selbstverständlich Michael Kühnen, zu dieser Zeit von allen respektiert. Die meisten von uns kannten ihn bereits aus Zeitungsberichten.
Bei diesem ersten Treffen wurde uns erklärt, auf welches große Ziel wir alle gemeinsam hinarbeiten würden. Dieses Ziel hieß: Wiederzulassung der NSDAP als in Deutschland wählbare Partei. Ein paar Wochen später war die erste ultrarechte Partei der DDR im Parteienregister erfaßt. Mit einem allerdings noch gemäßigten Programm wurde die »Nationale Alternative« registriert. Damit konnte diese Partei an Wahlen teilnehmen. Die NA hatte am Tage ihrer Gründung ganze sieben Mitglieder. Satzung und Programm waren komplett von der Hamburger »Nationalen Liste« abgeschrieben worden.
Der führende nationale Sozialist von Hamburg, Christian Worch, ermunterte mich, in Berlin ein Haus zu besetzen. Wir zogen illegal für kurze Zeit in Lichtenberg in ein Haus ein, das wir allerdings gleich wieder räumen mußten. Es handelte sich um ein historisches Gebäude, das unter Denkmalschutz stand. Die Wohnungsgesellschaft schlug uns aber bereitwillig zwölf andere Objekte zum Tausch vor, von denen wir uns eins auswählen konnten. Ich entschied mich für die Weitlingstraße 122. Das Gebäude war für unsere Zwecke groß genug, es war in gutem, bewohnbarem Zustand, seine Bausubstanz war hervorragend, und vor allem: es lag an strategisch ausgezeichneter Stelle und ließ sich gut verteidigen. Das Haus wurde sofort zur zentralen Anlaufstelle für alle Skinheads aus ganz Berlin. Es war bald in ganz Deutschland medienbekannt, und wir bekamen Zulauf aus der gesamten Bundesrepublik.
Vorsitzender der »Nationalen Alternative«
Journalisten aus aller Welt wollten
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