Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus
hatte ich immer davon geträumt, Terrorist zu werden, und meine Vorstellungen von einem Leben als ein solcher waren eher romantischer Art. Ich hielt Terroristen für Idealisten, die für eine bessere und gerechtere Welt kämpfen. Während meiner Zeit in DDR-Gefängnissen sah ich mich stets als Opfer eines ungerechten und autoritären Staates, der Gewalt auf mich ausübte. Gewalt wurde für mich zu einer alltäglichen Sache: Auf mich wurde Gewalt ausgeübt, und ich übte Gewalt aus. Der Zeitpunkt allerdings, an dem aus mir als »Opfer« ein »Täter« geworden war, war mir nicht bewußt geworden. Während der letzten Jahre hatte ich über lange Zeit keinerlei Bedürfnis mehr, in ein bürgerliches Leben zurückzukehren. Die Möglichkeit, in den Untergrund zu gehen, irritierte mich sehr, zumal meine Schwierigkeiten, mich weiterhin mit dem Nationalsozialismus zu identifizieren, immer größer wurden. Wie sollte ein »normales Leben« für mich aussehen? Ich wußte es nicht. Meine »Karriere« als Parteivorsitzender der »Nationalen Alternative« war beendet, Parteienarbeit interessierte mich nicht mehr. Ich sah nur eine Perspektive: in den Untergrund zu gehen.
Der RAF-Terrorismus hatte mich seit langem fasziniert, und mein Hang zu extremen Handlungen, der durch den Knast gefördert war, verstärkte diese Faszination. Mein im Gefängnis angestauter Haß war so extrem, daß ich Gewalt zur Lösung von Problemen in meiner Umwelt nicht mehr ausschloß. Andererseits empfand ich zum Beispiel die Gewalt gegenüber Ausländern und Punks schon lange als ungerecht. Bei »Kameradschaftsabenden« hatte ich vergeblich versucht, den Leuten klarzumachen, daß viele der Ausländer, deren Großväter einstmals von der Bundesregierung selbst geholt worden waren, nun schon in der dritten Generation hier leben. Von Rechtsradikalen verübte Gewaltaktionen hielt ich für schwachsinnig und auch feige, sie trafen immer Unschuldige, oft Frauen und Kinder. Mit diesen Äußerungen stieß ich bei meinen »Kameraden« nur auf Unverständnis. Die traurigen Vorgänge in Mölln, von vielen meiner »Kameraden« in dummer Weise bejubelt, entfernten mich immer weiter von ihnen.
Langsam ist es genug
Anfang Dezember 1992 zog Oliver Schweigert, neuer Vorsitzender der »Nationalen Alternative«, bei mir zu Hause in der Wotanstraße ein. Seine Freundin konnte ihn nicht mehr ertragen und hatte ihn rausgeschmissen. Ich war arbeitslos und kaum noch in der Lage, meine Miete allein aufzubringen. Schweigert ist ein ruhiger Eigenbrötler, der sich ganz gut allein beschäftigen kann. Das Zusammenleben mit ihm war zunächst ziemlich unproblematisch. Zudem füllte er regelmäßig den Kühlschrank auf und versorgte mich mit Zigaretten. Jeden Morgen um vier Uhr stand er auf, um sechs Uhr abends kam er nach Hause. Dann trank er regelmäßig einen Liter Bier und spielte vier Stunden lang Videospiele. Pünktlich um elf ging er ins Bett. In der ganzen Zeit, in der er bei mir wohnte, las er immer das gleiche Buch, eine Biographie des nationalsozialistischen »Märtyrers« Horst Wessel, Ein einziges Mal hatte ich Schweigert im Verdacht, meine T-Shirts zu einem bestimmten Zweck zu benutzen, Beweise fehlten mir. Eines Tages jedoch fand ich beim Saubermachen eines dieser T-Shirts unter der Matratze des Vorsitzenden der »Nationalen Alternative«. Ich mußte verwundert feststellen, daß es völlig verklebt war. Auf Erklärungen seitens meines Mitbewohners verzichtete ich, ich teilte ihm lediglich am 22. Februar 1993 mit, er solle, so schnell er kann, aus meiner Wohnung verschwinden. Er war zugleich der erste, dem ich bei dieser Gelegenheit sagte: »Ich hab’ die Schnauze voll, ich steige aus!«
Schweigert versuchte einzulenken: »Ingo, entspann dich mal vierzehn Tage, danach geht’s dir wieder besser!«
Ich nahm einen großen Karton, schmiß alle Propagandazeitschriften und -bücher, deren ich habhaft werden konnte, hinein und fragte ihn: »Wie ist es, willst du was davon haben, oder es wandert alles in den Ofen.«
Schweigert grinste mich an: »Ist schon gut, du brauchst das alles noch.«
Ich nahm einige Hefte, schraubte den Kachelofen auf und schmiß sie hinein. Schweigert stürzte sich auf den Karton: »Hör auf, Kamerad, überleg doch, was du machst.«
»Ich weiß schon ganz genau, was ich mache, und nenn mich nie wieder Kamerad!« schrie ich ihn an.
Schweigert blickte ganz entsetzt, plötzlich konnte ich sein einfältiges Gesicht nicht mehr sehen. Ich griff nach
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