Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus
ein paar rassistische Äußerungen vor der Kamera, die mir vorher viel flotter von den Lippen gegangen wären. Ich spielte meine Rolle zu Ende. Bonengel, der meine Vorbehalte spürte, fragte mich, ob es mir lieber wäre, wenn ich überhaupt nicht in dem Film vorkommen würde. Das hat mir unheimlich imponiert: Wegen meiner eigenen Zweifel, an denen er keinen geringen Anteil hatte, war er bereit, seinen Film, seine Arbeit, zu gefährden.
Die Gespräche mit Winfried wurden immer wichtiger für mich. Winfried forderte mich niemals direkt auf, auszusteigen. Frank Lutz warnte mich immer wieder ausdrücklich vor dem Franzosen: »Der Typ ist dein Untergang!«
Bonengel hatte sein ganzes Geld in den Film investiert und war nun mehr oder weniger pleite, ich verlangte von ihm kein Honorar, wo hätte er es hernehmen sollen?
Ein paar Monate später zeigte Winfried mir den fertigen Film. Er trug den Titel »Wir sind wieder da«. Bonengel benutzte fast keine Kommentare, dennoch gelang es ihm, mich zu Beginn des Films als eine sympathische Figur zu zeigen, die sich mehr und mehr als brauner Rattenfänger entpuppte. Ich war über mich selbst erschrocken. Der Film war etwas völlig anderes als alle die anderen Reportagen, in denen ich bisher vorgekommen war. Da Bonengel den Film aber in Deutschland noch gar nicht verkauft hatte, machte ich mir weiter keine Gedanken darum.
Noch ein »Führer«: Ewald Althans
Im August 1992 fuhren wir gemeinsam nach München zu Ewald Althans. Bonengel begann mit den Dreharbeiten zu seinem neuen Film »Beruf Neonazi«. Diesmal wollte er einen westdeutschen Neonazi im Mittelpunkt haben, eben jenen Althans. Es kam ihm darauf an, dessen Wesenszüge und vor allem seine internationalen Verbindungen aufzuzeigen. Ich kannte Althans eher flüchtig, unsere Kontakte beschränkten sich darauf, uns gegenseitig einzuladen. Ich bewunderte Althans dafür, daß er, obwohl kaum älter als ich, schon zahlreiche große Veranstaltungen organisiert hatte. Althans versteht es wie kaum ein anderer im rechten Lager, Leute zu motivieren und sie anzustacheln. Er hat die Fähigkeit, sich intellektuell immer auf seine Gesprächspartner einzustellen. Der Sponsorenkreis, den er sich in den letzten Jahren aufgebaut hat, ermöglicht es ihm, ein Büro zu unterhalten, durch das er Naziliteratur verschickt. In diesem Büro, dem »Vertrieb AVÖ«, gibt es Angestellte, die das Büro für ihn betreiben. Durch die Szene kursieren immer wieder Ansichten, er habe allzu viele von Kühnens Eigenschaften übernommen. In einer Schwulenzeitung soll er seine Neigung schon bestätigt haben. Auf Althans, der vor allem im Ausland derzeit als der »Neue Führer« bezeichnet wird, sind viele neidisch, vor allem natürlich jene, die diesen Titel gern für sich in Anspruch nehmen wollen. Auch mir hat Althans mehrfach angeboten, sein Büro in der Herzog-Heinrich-Straße für ihn zu führen, nachdem ihm sein früherer Mitarbeiter davongelaufen war. Althans ist es gewohnt, alles allein zu bestimmen und keine Widerrede zu dulden. Das war seinem früheren Mitarbeiter offensichtlich zuviel geworden. Althans bot mir auch gleich eine Wohnung an, und ich überlegte hin und her. Winfried hatte Angst, ich könnte das Angebot, das durchaus verlockend war, annehmen. Mein Ausstieg aus der Szene wäre dadurch in weite Ferne gerückt.
Von den Dreharbeiten zu »Beruf Neonazi« weg fuhren Althans und ich gemeinsam nach Rostock, dort waren die Krawalle seit Tagen im Gange. Wir wollten sehen, was dort wirklich los war. Wir gaben ein paar Interviews, und ich fuhr zurück nach Berlin. Pressemeldungen von damals, Rostock sei überregional geplant gewesen, kann ich nicht bestätigen. Und auch der Drahtzieher von Rostock, wie eine Berliner Zeitung schrieb, war ich nicht. Leute wie ich haben allerdings immer wieder durch ausländerfeindliche Hetzparolen andere mit dazu verleitet, Steine und Molotowcocktails auf Wehrlose in der Minderheit zu werfen, nicht nur in Rostock-Lichtenhagen. Nach Rostock kam ich am letzten Tag, kurz bevor die Sache ein Ende gefunden hatte.
Winfried war in den folgenden Monaten mit seinem Film über Althans beschäftigt, ich verlor ihn für einige Zeit wieder aus den Augen.
Im Spätherbst 1992 passierten die Morde von Mölln, die mir sehr nahegingen. Jetzt war für mich ein bestimmtes Maß überschritten. Ich äußerte das auch gegenüber meinen »Kameraden«, die für meine Haltung nicht das geringste Verständnis aufbrachten. Sie feierten im
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