Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus
meiner Jacke und gab ihm zwei Tage, sich davonzumachen.
Dann fuhr ich ziellos durch die Stadt. Am nächsten Tag fragte mich Schweigert, ob es mir wieder besser geht. Er glaubte, ich sei vorübergehend krank geworden. Ich enttäuschte ihn: »Mir ging’s noch nie so gut! Es hat sich nichts geändert!«
»Das kann nicht sein, so ein überzeugter Nationalsozialist steigt nicht von heut auf morgen aus!«
»Das geht alles, wie du siehst. Ich hab’s bis gestern auch nicht geglaubt. Ich hab’ einfach keine verdammte Lust mehr, diesen Scheiß hier noch länger mitzumachen.«
»Das kann ich nicht akzeptieren«, antwortete Schweigen drohend.
»Das ist dein Problem, da wirst du durchmüssen!«
»Es kann aber auch leicht deins werden«, sagte er böse. Nun war er mein Feind.
Aber ich hatte keine Angst und auch keine Lust mehr, mit ihm zu diskutieren. Am nächsten Tag holte er alle seine Sachen aus meiner Wohnung.
In einem hatte Schweigert natürlich recht: Von heute auf morgen war mein Entschluß nicht gewachsen.
Bonengels Film
Ich muß noch einmal etwas zurückgreifen und von Winfried Bonengel erzählen. Er ist der Mitautor dieses Buches, und er hat mir beim Schreiben viel geholfen. Wir haben unzählige Gespräche gehabt, in denen ich vieles begriffen habe. Manches von dem, was ich hier aufgeschrieben habe, stammt in den Formulierungen von ihm, ich bin ja weder Journalist noch Schriftsteller.
Anfang September 1991 erzählte mir mein Bruder Jens, daß in der Pfarrstraße irgend so ein Typ aus Frankreich rumschnüffelt, der einen längeren Film über die Szene machen will. Jens hatte sich schon ein paarmal auf ein Bier mit ihm getroffen, und nun wolle der Franzose auch mich kennenlernen. Ich lehnte fürs erste ab und riet auch meinem Bruder zur Vorsicht: »Man weiß nie, was die Presseheinis wirklich im Schilde führen.« Stinki und mein Bruder trafen sich noch ein paarmal mit dem Filmemacher. Eines Tages kam der dann einfach in die Pfarrstraße 108 und verabredete sich mit mir zu einem Gespräch in einem Cafe in der Weitlingstraße. Frank Lutz und Mike Prötzke warnten mich vor dem Franzosen: »Was willst du denn mit dem? Der ist bestimmt vom Staatsschutz, und wenn nicht, dann arbeitet dieser linke, schwule Journalist für die Antifa.«
Mit Heinisch hatten wir vereinbart, nichts mehr für die Presse zu machen und auch keine Kontakte zu ihr herzustellen. Trotzdem traf ich mich einfach mal so mit ihm, um zu sehen, was das für ein Typ ist. Wer sollte mir das verbieten? Er lebte seit mehr als acht Jahren in Frankreich. Bonengel erzählte mir, er sei nur deshalb nach Deutschland zurückgekommen, um einen umfangreichen Film über die rechte Szene zu machen.
In der folgenden Zeit versetzte ich ihn regelmäßig. Ich hatte einfach keine Lust mehr, irgendwas fürs Fernsehen zu machen. Im Oktober verlor ich aber meinen Job in der Pfarrstraße. Bei der Schlägerei mit den linken Hausbesetzern hatte man mich fast totgeschlagen. Ich arbeitete nicht mehr bei Heinisch, die Verabredung in Sachen Presse galt für mich nicht mehr, ich hatte nichts zu tun. Bonengel rief gelegentlich aus Frankreich an und fragte jedesmal, ob ich den Film mit ihm machen würde. Da ich zu dieser Zeit, trotz gelegentlicher Zweifel, noch immer die Absicht hatte, mich wieder stärker in der Szene zu engagieren, sah ich eine Möglichkeit, in diesem Film meine ungebrochene Treue zum Nationalsozialismus zu dokumentieren. Irgendwie hing mir ja die Sache mit den unterschriebenen Polizeiprotokollen, die Reinthaler hochgebracht hatte, noch an.
Lutz wollte nicht, daß ich mich mit dem Pariser Regisseur einlasse. Er hatte eine große Abneigung gegenüber Bonengel und wollte dessen Adresse von mir, um ihn »fertigzumachen«. Er hielt ihn nach wie vor für einen linken Schnüffler. Mir schien aber, der Regisseur habe weder mit rechter noch mit linker Politik groß etwas am Hut. Er äußerte mir gegenüber, daß ihn nur Personen interessierten. Natürlich war ich auch eitel genug, davon geschmeichelt zu sein, die Leitfigur in diesem geplanten Film abgeben zu sollen, und ich wußte ja, was ich ihm zu sagen hätte und was nicht. Ich sagte Frank Lutz, er müsse auf einen Überraschungsbesuch bei Bonengel verzichten, der wohne in Paris. Ich traf mich immer häufiger mit Bonengel, unsere Gespräche vertieften sich, und ich bemerkte, daß er sich von allen anderen Journalisten unterschied. Die wollten immer nur ihre Story und zogen wieder ab auf Nimmerwiedersehen,
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