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Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus

Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus

Titel: Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Hasselbach , Winfried Bonengel
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Bonengel interessierte sich für mich als Person. Er sagte mir auch, ich entspräche keineswegs seinen Klischeevorstellungen von einem jungen Nazi und gerade deswegen sei es interessant für ihn, über mich einen Film zu machen. Im Oktober 1991, nach einer Naziveranstaltung in Halle, kam er zum erstenmal mit seiner Kamera zu mir in die Wotanstraße. Er kam ganz allein, die Kamera war geliehen. Er stellte mir ein paar Fragen. Er bekannte mir auch, daß er für den Film überhaupt keinen Auftrag und damit auch kein Geld habe. Nach zwei Stunden verstaute er die Kamera wieder in seinem völlig demolierten VW Käfer, eine Scheibe war eingeschlagen, und fuhr zurück nach Paris. Wie wollte der einen längeren Film machen? Ich war skeptisch, irgendwie imponierte mir der Typ aber auch.
    Ein paar Wochen später war er wieder da. Er erklärte mir, er habe sich inzwischen etwas Geld geliehen und nun könne es richtig losgehen. Ich hatte keine Arbeit und nichts Besseres vor, also machten wir uns mit Bonengels kleinem Team auf den Weg, quer durch ganz Deutschland. Ich fand Bonengel und seine Leute ganz okay, sie entsprachen überhaupt nicht dem üblichen Klischee von Filmleuten. Bonengel erdreistete sich immer häufiger, meine »Kameraden« lächerlich zu machen. Er spottete unablässig über meine Ideologie, schien aber genau zu wissen, wie weit er gehen konnte. Ich war ihm nicht böse, und manchmal gelang es ihm sogar, daß ich über das oft dumme, gespreizte Gehabe meiner »Kameraden« lächeln mußte.
    Wir fuhren auch nach Langen zu Nero Reisz und zum »Ritterkreuzträger« Otto Riehs. Beide übertrafen sich in ihrer Bierlaune gegenseitig an Geschmacklosigkeiten. Von Reisz’ übelsten Judenwitzen wurde mir fast schlecht. Ich sagte keinen Ton mehr und fühlte mich für Momente Winfried und seinem Team näher, als ich es mir eigentlich zugestehen wollte.
    Auf der Rückfahrt ging mir Bonengel extrem auf die Nerven. Diese »Frankfurter Runde« mußte ihn sehr gestreßt haben. Er machte sich Luft, indem er sich über die ganze »Bewegung« lustig machte. Er beruhigte sich gar nicht mehr. Dann erzählte er, geheimnisvoll tuend, er sei der Chef der NDKS. Ich fiel auf ihn herein und fragte, was das sei. »Was, du kennst die NDKS nicht? Da mußt du Verbindung hin aufnehmen! Das ist die >Neue Deutsche Kolonialstaffel< in Paris. Wir haben genauso viele Mitglieder wie der Gau Salzburg, nämlich zwei!« Der Kameramann und der Tonmann lachten sich halbtot. Ich ließ all das über mich ergehen und war nur wenig beleidigt.
    Bonengel wußte, daß Michael Kühnen einer der wenigen Rechten war, die ich wirklich schätzte. Also fing er damit an, zu beschreiben, wie Kühnen sich angeblich auf Pariser Schwulenparties herumgetrieben habe. Bonengel ging bis an die Grenze des für mich Erträglichen. Er mußte mich aus unseren Gesprächen schon ganz gut kennen. Wir unterhielten uns während der Dreharbeiten auch über den Massenmord an Juden im Dritten Reich, Ich dachte damals noch immer, die obskure These verteidigen zu müssen, eine Menschenvernichtung größeren Ausmaßes habe in Auschwitz nicht stattgefunden, obwohl ich innerlich schon Zweifel hatte. Die wollte ich Bonengel gegenüber keinesfalls deutlich machen. Ich spielte meine Rolle als Neonazi. Immerhin hatte er es aber geschafft, mich zunehmend nachdenklicher zu machen.
    Ende Januar, nach Beendigung der Dreharbeiten, lud Bonengel mich sogar zu sich nach Paris ein. Ich lehnte ab. Zum einen hatte ich eine neue Arbeit gefunden, zum anderen dachte ich, es wäre besser, den Regisseur erst einmal ein wenig zu meiden. Bonengel hatte mich in der Zwischenzeit mit einigen seiner Bekannten zusammengebracht, und es war ein schönes Gefühl für mich, nicht nur von ihm, sondern auch von vollkommen unpolitischen Menschen akzeptiert zu sein. Diese Erfahrung war mir vollkommen neu, ich hielt sie aber zu dieser Zeit auch für gefährlich. Und obwohl ich wieder richtig aktiv in der Szene wurde, war der alte Enthusiasmus weg. Irgend etwas in meinem Leben hatte der Franzose verändert. War die Geschichte mit dem Nationalsozialismus doch nicht das Wahre, wenn ihn so viele kluge Leute ohne Wenn und Aber ablehnten? Früher war alles einfacher gewesen, und ich hatte mich als Neonazi richtig wohl gefühlt.
    Bonengel drehte dann in meiner Wohnung noch ein paar Interviews mit mir. Ich war gar nicht mehr so begeistert, weiterhin die Naziideologie vor der Kamera zu vertreten. Dennoch machte ich, trotz innerer Zweifel,

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