Die Abrichtung (German Edition)
Wässerchen, oder was man da so braucht, vorhanden sind. Ich schicke Punk morgen Mittag vorbei. Du wirst deinen Augen nicht trauen. Na, und dann kann er sein Können unter Beweis stellen. Aber wie ich dich kenne, wirst du auch von ihm begeistert sein, wenn er im Fach total unfähig ist.
Ich weiß nur nicht, wie zuverlässig er ist. Womöglich stiehlt er. Ich halte ihn hier in Ketten, bis ich ihn besser kenne. Ich rate dir das Folgende: Lass ihn sich vor der Werkstatt bis auf die Haut ausziehen; das geht ganz schnell, denn er hat fast nichts an. Sperr ihn dann nackt in die Werkstatt, damit er nichts einstecken kann. Und wenn du nach Feierabend dennoch ein paar Brillanten oder so vermisst, ruf an, dann kette ich ihn hier so lange auf einen Kübel, bis er sie wieder ausgeschissen hat.» Am anderen Ende bleibt es still. Werner Schwichtenberg hat es den Atem verschlagen.
«Also?»
«Sag mal, Jens, spinnst du?» Seine Stimme hat jetzt nichts Affektiertes mehr.
«Nein, ich meine es ernst. Sonst würde ich nicht mit dir meine Zeit vertun.» So, das sitzt!
Ich höre Schlucken und dann, nach einer Weile: «Jens, ich weiß nicht, was ich davon denken soll. Aber ich weiß, dass du noch niemals jemanden verarscht hast. Lass ihn, wie heißt er? Punk? Lass deinen Punk kommen. Hältst du ihn wirklich angekettet? » – «Wenn ich es doch sage. Damit er nichts stehlen kann. Aber draußen lasse ich ihn frei herumlaufen. Er wird morgen bei dir sein. Er sagt, er sei Goldschmied, und ich glaube nicht, dass er lügt.»
Ich rufe das Schwein: «Punk schläft. Damit ich es morgen nicht vergesse, erkläre ich dir jetzt schon, was du morgen zu tun hast. Am Mittag, seine Kleider werden dann wieder trocken sein, bringst du ihn zum Juweliergeschäft Schwichtenberg. Ihr wartet unauffällig vor dem Schaufenster, bis der Laden möglichst voll ist mit ekligen reichen Leuten. Dann schiebst du Punk rein. Schau genau hin und erzähl mir später, was passiert ist. Du darfst diese Nacht bei Punk schlafen. Sei lieb zu ihm; er hat es verdient.»
Talent
Am Abend ruft Werner Schwichtenberg an. Er ist auf einmal gar nicht mehr tuckig. «Also, Jens, du kannst einem ja einen Schrecken einjagen. Mach das bitte nie wieder, so eine Gestalt in meinem Laden auftauchen zu lassen, wenn Kunden da sind! Aber, du, ich glaube der ist gut. Er ist noch immer unten. Ich habe ihm allerlei Zeugs gegeben, an dem er wenig verderben kann, Ringe enger machen und so was. Namen aus Eheringen schleifen, das wird ja immer öfter verlangt. Also: er arbeitet sehr gründlich und dabei zügig. Und vor allem: Sein Arbeitsplatz ist nie chaotisch. Er legt alles systematisch auf seinen Platz und braucht nie zu suchen. Das hätte ich gar nicht erwartet.»
«Hast du ihn denn nur so was Langweiliges machen lassen? » – «Zuerst ja. Aber da war auch eine Brosche, ne goldene Orchidee mit Granat in den Staubfäden. Von der Oma von Kalle. Da war was abgebrochen. Eigentlich unreparierbar. Er hat eine sehr elegante Lösung gefunden. Der kann nicht nur was, der ist auch kreativ. Wenn er morgen pünktlich wiederkommt, will ich ihn gern behalten. Dass der klaut, kann ich mir nicht vorstellen.» – «Pass bloß auf, mit deiner Gutgläubigkeit. Aber ich habe auch ein gutes Gefühl.»
Als Punk spät am Abend mit seinem neuen Seesack nach Hause kommt, geht er gleich in den Keller und erwartet devot seine Ketten.
In den folgenden Wochen sehen wir wenig von ihm. Er lebt sich langsam ein, aber auf seine Weise. Wenn ich ihn morgens freilasse, nimmt er seinen Sack und verlässt das Haus. Manchmal bleibt er nachts weg. Von Werner weiß ich, dass er jeden Tag lange arbeitet. Was er ansonsten tut, wissen wir nicht.
Er macht keinen Gebrauch von der Möglichkeit, sich ans Schwein ketten zu lassen, er isst nichts, benutzt nur ganz kurz das Badezimmer, wäscht seine paar Kleider anscheinend in einer Wäscherei und fällt überhaupt so wenig wie möglich zur Last.
Sein Seesack füllt sich sehr langsam. Die erste Anschaffung ist eine gebrauchte Lederjacke – bestimmt nicht sinnlos in dieser Jahreszeit. Einen alten Militäroverall, ein paar T-Shirts, viel mehr hält er nicht für nötig.
Das Schwein geht oft zu ihm in den Keller. Nach einigen Wochen erlaube ich ihm, mit Punk zu sprechen. Manchmal sind sie stundenlang zusammen. Aber Punk nimmt nie an unserem gemeinsamen Leben teil. Außer John und Jim hat ihn noch niemand im Hause gesehen.
Neubeginn
Nächste Woche beginnt das Wintersemester. Das
Weitere Kostenlose Bücher