Die Abrichtung (German Edition)
hoffst dennoch, deine Zukunft hier zu finden. Vielleicht bist du auf dem richtigen Wege. Wir werden dir helfen, das herauszufinden. Du kannst hier wohnen und von hier aus zur Arbeit gehen, wenn ich dir eine besorgt habe. Was hast du gelernt?»
«Goldschmied. Aber meinem Meister in Grunewald gefielen meine Haare nicht.»
«Goldschmied. So, so. Wir werden sehen. Mir gefallen deine Haare. Und deine Kleider. Du hast Geschmack, wenn auch etwas ausgefallen. Aber ich kenne dich nicht. Womöglich stiehlst du wie ein Rabe.»
«Ganz bestimmt n…»
«Halt den Mund! Wieso sollte ich dir glauben? Es könnte sein, dass du ein kleiner mieser Verbrecher bist, und man kann heutzutage nicht vorsichtig genug sein. Deshalb das Folgende: Du wirst keinen Hausschlüssel erhalten. Solange du im Hause bist, wirst du immer Ketten tragen. Wenn wir dich nicht beaufsichtigen können oder wenn du allein sein willst, das steht dir jederzeit frei, kette ich dich im Keller an die Wand. Ansonsten wirst du an das Schwein gekettet, Hand an Hand und Fuß an Fuß. Du darfst jederzeit um Ausgang bitten. Über dein Geld darfst du selbst verfügen. Ich verlange keine Miete und keine sexuellen Dienste. Wenn du willst, kannst du dich an der Hausarbeit beteiligen; du wirst ja doch meist in der Nähe des Schweines sein. Du wirst keine Kleidung tragen, die mir nicht gefällt. Und du heißt Punk!
Von deinem ersten Lohn wirst du einen Seesack anschaffen für deine Sachen. Du wirst nichts im Hause herumliegen lassen. Wenn du raus gehst, wirst du immer den Sack mit all deiner Habe mitnehmen. Punk, es bleibt dir überlassen, ob du zurückkommst oder nicht. Deine Freiheit ist unbeschränkt, wenn man von der Sicherheitsmaßnahme absieht, die ich treffen muss, solange du hier im Hause bist. Und jetzt trockne dich ab!»
Als Punk unter der Dusche hervorkommt, ist deutlich zu sehen, dass die Hausregeln ihn erregen. – «Willst du jetzt erst mal im Keller ausschlafen und über alles nachdenken?» – «Ja, bitte. Ich bin sehr müde. Und vielen Dank!»
Ich bringe ihn nach unten, lege ihm ein Fußeisen an und kette dies an die Wand, damit er nicht weglaufen kann. Behindern wird ihn die Fessel nicht. Erschöpft lässt er sich auf das Gummilager fallen und birgt das Gesicht in den Unterarmen. An der Einrichtung des Raumes scheint er sich nicht zu stören, so müde ist er.
Goldschmied
Dann rufe ich Werner Schwichtenberg an, den Juwelier: «Hier ist Jens.» – «Huch! Jehens! Von dir habe ich ja eeewig nichts gehört. Hallöchen! Brauchst du Eheringe für dich und deinen Frohoind?» – «Ach, hör auf mit dem Theater! Sag lieber, wie sieht es eigentlich derzeit in deiner Goldschmiede aus?» – «Goldschmiede? Ach ja, so was habe ich ja auch. Im Keller. Hach, da unten war seit Jahren niemand mehr. Ich lasse nämlich arbeiten, meine Liebste. Eigenes Personal ist ja heutzutage nur eine Last. Du glaubst ja nicht! Un-zu-ver-läs-sig! Und penetrant.» (Die letzte Silbe näselt er so, wie er sich französische Aussprache vorstellt.) «Und man selbst kommt ja zu nichts mehr. Außerdem schaden die Dünste meinem Teint, fürchte ich.» (Das spricht er rheinisch aus: Teng.)
«Jetzt lass endlich den Quatsch. Hör zu! Und unterbrich mich nicht! Ich habe was für dich, aber ich habe keine Lust, mich noch länger von einer Tunte nerven zu lassen. Ich habe einen Goldschmied. Punk heißt er. Geil. Er wird dir gefallen, auch wenn er nicht ganz zu deinem Interieur passt. Aber er soll ja auch im Keller arbeiten. Ich weiß nicht, wie gut er ist; das musst du selbst ausprobieren. Ich kann mir vorstellen, dass er gut ist, er ist nämlich sensibel und introvertiert.» – Plötzlich ist Schwichtenberg ganz der sachliche Arbeitgeber: «Was für Papiere hat er? Was will er verdienen? Du wirst verstehen, dass ich in dieser schwierigen Zeit …»
«Halt den Mund! Wenn er Papiere hat, was ich übrigens wohl glaube, dann sind sie entweder klitzeklein zusammengefaltet und schmutzig, oder sie liegen noch in Berlin. Du wirst es selbst herausfinden müssen, ich bin schließlich kein Arbeitsbüro. Wenn er nichts taugt, schmeiß’ ihn wieder raus. Aber wenn er was taugt, wirst du ihm ein ordentliches Gehalt zahlen und keinen Hungerlohn. Ich werde das gegebenenfalls überprüfen. Ich weiß, wie gut dein Laden läuft, du brauchst mir gar nichts vorzujammern. Wenn du es probieren willst, was ich dir übrigens dringendst anrate, bring deine Werkstatt auf Vordermann und sorg dafür, das alle
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