Die Abschaffung der Arten
tausend kleinen Gesten, Lauten, endlosen Ehrbezeugungen vor, daß sie es für etwas sehr Besonderes hielten, mit der Aufgabe seiner Erziehung betraut zu sein. Verstecken und Suchen spielten sie mit ihm so lange, bis sie ihn nicht mehr finden konnten. Da erst waren sie zufrieden, fanden dieses Spiel aber auch plötzlich »zu gefährlich« und gewöhnten es ihm wieder ab. Manchmal sagten sie, er sei ein Prinz. Er nahm an, Feuer sei das, was er, Prinz hin, Prinz her, immer bleiben würde, denn so nannten sie ihn vor allem dann, wenn er etwas richtig gemacht hatte und ganz bei sich war. »Prinz« hieß er nur, wenn er Nachsicht brauchen konnte, weil er sich mit Essen bekleckert, jemanden verbrannt oder etwas kaputtgemacht hatte.
Feuer sah aus wie einer, der zum Schnell-Laufen, Hoch-Springen, zum sehr raschen Sichbewegen geschaffen war. Sein Zwerchfell spürte Veränderungen der Luft, wenn die Siebenvierer ihre Arbeit nicht getan hatten. Dann kletterte er auf den Stufen im warmen Stein so hoch er konnte, um nicht Herzbeschwerden zu bekommen, wegen der an solchen Tagen viel zu dicken Luft in Bodennähe. Lendenwirbel, Kreuzbein, die ganze Hüftkonstruktion, all das war bei ihm beweglicher ineinandergehängt als je beim Menschen, dessen Skelett die biohistorische Vorform des Bauplans von Feuers Gestalt gewesen war. Seine Arme und Beine, mit starken Muskeln ausgestattet, ließen sich in ihren Gelenken nach Richtungen hindrehen, die der menschlichen Intuition widersprochen hätten.
Feuers Hirn konnte mühelos denken, was seine Sinne unmöglich hätten wahrnehmen können: unbenennbare Zeitformen aus nicht stattgehabter Vergangenheit und unwahrscheinlicher Zukunft, höhere Geometrien, durch die er sich zu winden wußte, wenn es eng wurde, beim Versteckspiel und im Ernst.
Das war die Erbschaft der Keramikaner, aus Geheimnissen entwickelt, die man denen gestohlen hatte. Seine Haut war bronzen, bis auf den in kleinen rautenförmigen Plättchen gepanzerten Rücken, die Oberarme und die Schädeldecke; die Haare auf dem Rücken kräuselten sich bunt und bildeten ineinandergestellte V-Muster; die Frisur auf dem Kopf leuchtete kupferfarben. Er mußte sie sich nicht stutzen lassen, sie wuchs nur bis zur Länge der spitzen Krallenzehen seiner gespaltenen Füße, dann nicht mehr. Manchmal, wenn er sich sehr auf eine Denkaufgabe konzentrierte, glommen die Spitzen der Haare wie glosende Kohlepunkte. Sein Gesicht war schön und schmal, die Nase fein, die Wangenknochen standen hoch, die Lippen waren voll, die Augen glänzten mandelförmig, weißgolden, mit schwarzen, katzenhaften Pupillen darin. Das, wie die Freunde mit Fell fanden, Putzigste an ihm, in diesen jungen Jahren, waren die langen, spitzen Ohren, in deren Muscheln sich ein feines Netzwerk von Blutgefäßen fand, wie bei manchen Schakalen und Luchsen auf der alten Welt.
Wenn Blut sehr rasch durch diese Gefäße floß, wurde Hitze abgegeben, und der Kopf konnte abkühlen. Das war wichtig, dort am warmen Stein, »in der heißen Höhe«, wie Feuer gern sagte, dem es da sehr gefiel. Die Ohren blieben lebenslang, wie sie waren, sie lagen später nur enger am Kopf. Seine Stimme aber veränderte sich, als er 45 Tage alt war. Davor klang sie weich, hoch und fragend, danach rauher, voller, tief.
Er lernte erst singen, als die Stimme sich verändert hatte.
Selten aß er Fleisch; Lebewesen, die keine Sprache hatten und die man deshalb essen durfte, waren rar auf dem Plateau, deshalb recht scheu, man mußte sehr geschickt sein, um sie erfolgreich zu jagen. Sie schmeckten ihm ohnehin nicht besonders. Nur weil die Freunde mit Fell ihn anhielten, ab und an Fleisch zu sich zu nehmen, der Proteine wegen, und weil die Jagd ihn auf seine »große Aufgabe« vorbereitete, ließ er sich überhaupt dazu überreden.
Diese Aufgabe, das Ungreifbarste, manchmal für ihn Aufwühlendste, dann wieder Gleichgültigste, was es in seinem Leben gab, hatte, soviel verrieten ihm die Freunde, etwas mit einer Reise zu tun, die er würde unternehmen müssen, mit einem sogenannten »Isottatempel«, den er würde suchen und finden müssen, denn dort sei »die schwache Hälfte vom Wetzelchen«, und »darauf, es zu gebrauchen, hat keiner hier ein Recht außer dir«.
Später fragte er sich: Wer hatte ihm das gesagt?
Die gläserne Amme, die Freunde mit Fell, die Salamander oder die Ameisen, die Stimmen in den langen Nächten, von denen er nicht wußte, ob sie zu seinem Kopf gehörten oder sein Kopf zu ihnen, oder
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