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Die Abschaffung der Arten

Die Abschaffung der Arten

Titel: Die Abschaffung der Arten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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gerechten Ausgleichs der Landtiere mit den Meeresbewohnern etwa war sein Werk, wie auch deren endliche Abschaffung, als die neuen Tauschmaßstäbe sich selbst bei den Atlantikern zu bewähren begannen. Am Tag, als Vinicius schließlich abtrat und seinen Geist zugunsten des vereinigten Löwen aufgab, vermachte er den Gente eine Trias überaus stabilwertiger allgemeiner Äquivalenzmittel: Gold, Pherinfoncodes, geprägte Femtofakturplättchen (letztere, scherzhaft auch »Münzgeld« genannt, wurden inzwischen beinah als eine Art Naturalien betrachtet; die Kontoführung der schwarzen Kassen in den Höhlen der Fledermäuse etwa basierten ausschließlich auf dieser Währung).

    »Golden«: Wortgewordenes Eigenlob eines zuvor undenkbaren Zustands der Welt eher als ein Eigenname – dies war das Zeichen, an dem die Gente den Philosophen erkannten, der ihnen ihre Herkunft mit einem neuen Mythos verständlich gemacht hatte. Gerade denen, die den wissenschaftlichen Einzelheiten nicht folgen konnten oder wollten, blieb so erspart, auf die falschen Religionen der Vorfahren hereinzufallen. Goldens gesamte Lehre ergab sich aus einer einfachen Demonstration: Ja, es war möglich, aus etwas Unbelebtem etwas Lebendiges zu schaffen, aber das allein, wie diese an jeder Lesestelle für Pherinfone abfragbare Vorführung unwiderleglich aufwies, stellte keine ethisch relevante Leistung dar, weder im Guten noch im Bösen.
    Wer Leben schafft, kann diesem Leben damit längst noch keine Bestimmung zuweisen. Nur weil einer eßbar ist, heißt das nicht, daß man ihn essen darf, und aus einem Tun folgt sowenig ein Sollen wie aus einem bloßen Sein. Als die Gente dies verstanden hatten, begann erst die allseitige Freiheit.
    »Bene Gente« taufte man die Lehre flapsig; als Golden seinen Leib verließ, war sie den Tieren schon so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, daß dieser Name langsam in Vergessenheit geriet. Niemand wollte sie ja zu einer neuen Doktrin im Stile der Langeweile entwürdigen. (»Keine heiligen Schriften«, hinterließ Golden seinen Getreuen, »die Gefahr der Abschreibfehler ist zu groß.«)

    Auf diesen Namen, diesen Gesichtern, diesen Taten gründete die Epoche, in der nur noch eine einzige Autorität galt – nicht die eines Gewalthabers, sondern eine, auf die man sich aus Einsicht und bewußtem Vorsatz geeinigt hatte: Person und Bild, Cyrus Iemelian Adrian Vinicius Golden.
5. Lasaras Mutter
    Fünf Jahre vergingen, nachdem die Kügelchenvergiftung ihre häßliche, aber notwendige Wirkung getan hatte.
    Dmitri Stepanowitsch reiste.
    Izquierda plante und baute.
    Philomena log und kicherte.
    Der Löwe träumte und sprach Recht aus dem Schlaf.

    Dann geschah etwas Überraschendes: Lasaras Mutter ließ von sich hören.
    Von ihr war lange nichts bekanntgeworden. Die Pherinfoplexe wußten bloß, sie habe sich, ihren eigenen Worten nach, »dafür entschieden, nach einer stark verbesserten Verkörperung zu suchen – verglichen mit der kruden, in der Vater Goldens Gente leben«.
    Lasaras Mutter trug, ihrer Stellung angemessen, viele Namen.
    Der bekannteste war der, mit dem sie sich während der guten Zeiten ihrer mehrfach geschiedenen und mehrfach wieder geschlossenen Ehe mit dem Löwen hatte anreden lassen: Livienda Iemelian Adrian Vinicius Golden.
    Gern ließ sie das, schon um ihn zu brüskieren, selbst vom niedrigsten Besuch zu »Dame Livienda« abkürzen.

    Vor Jahrhunderten, als sie den Löwen kennengelernt hatte, war sie, biologisch gesehen, ein Gründerschwarm gescheiter Insekten gewesen; ökonomisch und politisch betrachtet: eine inkarnierte Anleihe auf große Zwecke im transfiniten Genpool der ersten Pielapielimaten. Ihre Losung, damals an vielen Wänden in Borbruck zu lesen: »Alles muß sich ändern; wir sorgen dafür, daß es sich zum Guten ändert.«
    Der Satz, verkürzt auf sein syntaktisches Stemma, diente Jahrzehnte nach Livendas erstem Verschwinden den Dachsarmeen im ehemaligen Europa und im früheren Asien noch immer als Signalentfaltungsschlüssel bei der EPR-Kommunikation. Der Gründerschwarm Protolivienda hatte als Militante, ja Militaristin gegolten; die Menschen in ihrem Umkreis hatten, solange es noch welche gab, wenig Freude an ihr gehabt.

    Die Libelle Philomena band es nicht jedem auf die Nase, wenn man sie nicht direkt danach fragte, aber sie war ursprünglich ein aus der langen Rückgratskette jenes Gründerschwarms gesprengtes Glied gewesen, bevor sie zu sich gekommen war. »Ich binde im Zwinkertakt

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