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Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Titel: Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick McGuinness
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stand auf und grüßte Leo. Mir gegenüber tat er so ehrerbietig, als wäre ich der Lakai eines mächtigen Patrons. Rodica erhob sich und gratulierte Leo. Er winkte demonstrativ ab.
    »Wir sind hier alle gleich, Rodica. Ich möchte nicht anders behandelt werden. Oder …vielleicht nur ein bisschen«, fügte er hinzu und beugte sich vor, um ihr einen Kuss zu geben. »Ist der Chef da?«
    »Ja. Er ist da … äh … Professor O’Heix.«
    Professor?
    »Du hattest so viel mit deinen privaten Lappalien zu tun, dass du neulich meine mehr als überfällige Beförderung gar nicht mitbekommen hast«, verkündete Leo.
    »Eine Beförderung? Du bist doch kaum noch hier, Leo. Du hältst keine Vorlesungen und hast seit Monaten an keiner Sitzung mehr teilgenommen!« Wir verschlossen die Tür und legten die Fotos auf den Kopierer.
    »Laut meiner Akte bin ich das Musterbeispiel eines pünktlichen, engagierten Dozenten. Warum sollte ich dem widersprechen?« Die Kopie war von überraschend guter Qualität. Schwer zu sagen, wie die Fotos im Druck aussehen würden; grausam wären sie auf jeden Fall.
    »Was hast du gegen Popea in der Hand?«, fragte ich Leo.
    »Geschäftsgeheimnis. Tut mir leid. Nur so viel: Für jemanden, der im Beruf an feste Hierarchien glaubt, trennt er, was die Kleidung betrifft, ziemlich nachlässig zwischen den Geschlechtern …«
    »Erpresst du ihn etwa damit, dass er Transvestit ist?«
    Leo strahlte mich an. »Aber er scheint es auf perverse Art zu genießen – erpresst zu werden, meine ich. Genau genommen handelt es sich dabei auch um die Unterwerfung unter einen Zwang, und manche Menschen können ohne Angst nicht leben … Wie ich das herausgefunden habe, verrate ich dir allerdings nicht, denn es war für uns beide heikel. Ich war blau, und dunkel war es auch … Zu seiner Ehrenrettung sei gesagt, dass er als Dame eine hervorragende Figur macht, jedenfalls eine bessere als seine Frau.«
    Ich schüttelte den Kopf. Was war schlimmer? Leos miese Erpressungsmasche oder Popea in Frauenkleidern? Der arme Mann: In einem Überwachungsstaat Transvestit zu sein, war eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, aber er hatte es geheim halten können, bis Leo auf der Bildfläche erschienen war. Wahrscheinlich hatte Leo durch seinen Einfluss auf Popea bewirkt, dass Ionescu in der Universitätsbibliothek arbeitete und nicht in Turda verstopfte Abflüsse reinigen musste.
    An meiner Tür hing immer noch das Schild mit der Aufschrift Dr. F. Belanger . Leos war schon ausgetauscht worden: Professor L. O’Heix . Die dünne Staubschicht auf seinem Schreibtisch verriet, dass er sich den Titel nicht auf die übliche Art verdient hatte. Er setzte sich, fegte den Staub mit einer Hand weg und steckte Kopien und Originalfotos in Umschläge. Auf den vierten Umschlag schrieb er in fetten, kindlichen Blockbuchstaben GILES WINTERSMITH ESQ. Dann wählte er die Nummer der Botschaft und gab mir den Hörer.
    Wintersmith wartete schon auf der Treppe. Die Sonnenbrille, hinter der die Augäpfel hin und her glitten wie Fische in einem Aquarium, wies ihn eindeutig als Spion aus. Er fühlte sich in Leos Gegenwart unbehaglich und erwiderte schlaff dessen übertrieben herzlichen Händedruck. Leo hatte dieses Treffen so offen wie möglich inszeniert. Ich wollte nur meine Schulden bei Wintersmith begleichen, aber Leo benutzte ihn als Lockvogel.
    »Sind Sie verrückt?«, fragte mich der Diplomat bei unserer Ankunft. »Sie haben mich von einem verwanzten Telefon aus angerufen. Dämlicher geht es nicht. Amateure!«
    »Das bezeichnet man als Doppelbluff. Eine Grundregel der Spionage«, konterte Leo.
    Wir setzten uns an einen Tisch im »Shit and Hassle«, und Wintersmith betrachtete die Fotos. »Interessant, ja. Danke. Ich nehme an, dass Sie nicht verraten wollen, woher sie stammen? Wer sie Ihnen gegeben hat? Damit wir ihre … äh … Authentizität überprüfen können?«
    »Sie zweifeln an der Authentizität der Fotos? Wir nehmen Sie gern mal mit, Giles, und setzen Sie unterhalb dieses Teils ins Wasser.« Er zeigte auf die Säge. »Und wenn Sie dann Ihren Bierbauch zunähen, können Sie die Authentizität bezeugen. Wie wäre das?« Leo zeigte auf das Dreieck roter Haut, das unter dem offenen Hemd von Wintersmith zu sehen war.
    »Wir haben die Fotos anonym erhalten«, sagte ich. »Sie wurden unter meiner Tür durchgeschoben.«
    »Als Fotokopien?«, fragte Wintersmith skeptisch.
    »Als Fotokopien.« Leo stand auf, um noch ein Glas zu holen. »Wenn Sie nicht

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