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Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Titel: Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick McGuinness
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Blut. Stoicu ist Maneas Vorgesetzter, und Manea hält ihn für einen fetten, stalinistischen Bauerntölpel. Stoicu wiederum ordnet Manea in die Rubrik Bourgeois/Jude/Schwuler ein – je nachdem. Schwer vorstellbar, dass Constantins Treue zu den Idealen der Kommunistischen Partei Rumäniens plötzlich erloschen sein sollte – denn er ist gut damit gefahren –, aber vielleicht will er Unruhe stiften.«
    »Und welche Rolle spielen wir dabei?«
    »Wir rühren auf«, erwiderte Leo nur. »Mit sehr langen Löffeln …«
    Am nächsten Tag gegen sechzehn Uhr hörte ich, wie etwas unter meiner Wohnungstür durchgeschoben wurde. Der braune DIN-A4-Umschlag lag halb unter der Fußmatte. Er war alt und zerknickt, und man hatte den ursprünglichen Adressaufkleber abgerissen. Ich öffnete die Tür, hörte aber nur noch das schwache Echo sich entfernender Schritte. Ich rannte auf den Balkon, von dem man die Straße in beide Richtungen überblicken konnte. Wieder vergeblich.
    Der Umschlag enthielt drei nicht besonders gute Farbfotos und eine Schwarz-Weiß-Aufnahme. Sie zeigten die von Manea erwähnten »Sicherheitsmaßnahmen«, und ihr Anblick war tatsächlich abschreckend. Auf einem Foto erhob sich ein riesiges, kreisrundes Sägeblatt wie ein gezackter Mond aus den Fluten. Das Blatt war verrostet und mit Moos bewachsen, ragte an seiner höchsten Stelle einen guten Meter empor und nahm fast die gesamte Breite der schmalen Donaubiegung ein. Auf einem anderen Foto schienen auf den ersten Blick dichte Fliegenschwärme über dem Fluss zu wölken, aber bei einem genaueren Blick sah man, dass es ein ausgedehntes Stacheldrahthindernis war. Das letzte Foto zeigte drei aus dem Wasser ragende Metallspieße. Die auf die Rückseite der Fotos getippten Ortsangaben verrieten, dass man die Fotos an drei unterschiedlichen, nach meiner Schätzung jeweils gut zweihundert Kilometer voneinander entfernten Stellen am rumänischen Donauufer gemacht hatte. Datum und Uhrzeit, die in kleiner Schrift unter jedem Foto standen, war zu entnehmen, dass die Fotos im Abstand von vierundzwanzig Stunden aufgenommen worden waren. Wer auch immer der Fotograf gewesen war, er hatte eine teure Ausrüstung, genug Benzin und außerdem die Genehmigung gehabt, sich frei im Land bewegen zu dürfen.
    Das Telefon klingelte. »Lust auf einen Kojak ?« Eine halbe Stunde später beugte sich Leo über die Fotos. »Das haben wir deinem Kumpel Manea zu verdanken. Ich kann diese Bilder innerhalb kürzester Zeit in der deutschen Presse unterbringen. Ich werde es auch bei den Briten versuchen. Aber ich muss sie zur Sicherheit kopieren.«
    »Ich glaube, dass ich Wintersmith etwas schuldig bin«, sagte ich. Der Mann jagte mir zwar stets einen Schauer über den Rücken, aber ich verdankte ihm einen wichtigen Hinweis. Die »Sicherheitsmaßnahmen«, wie Manea sie genannt hatte, waren immerhin geheim, und so nahe wie auf diesen Fotos kamen ihnen nur Flüchtlinge oder jene, die Fluchtversuche verhindern sollten. Wintersmith konnte diese Fotos vielleicht sinnvoll verwenden.
    »Na schön«, sagte Leo zweifelnd. »Meinetwegen. Aber gib ihm nicht die Originale. Sag ihm, dass du nur Fotokopien hast – alles andere darfst du nicht erwähnen. Am besten komme ich mit, denn du bist ja ein blutiger Anfänger.«
    »Ich weiß nicht«, erwiderte ich. »Ich bin mir nicht sicher, ob wir Manea einen Gefallen tun sollten. Der Mann ist schließlich kein Philanthrop. Er will Stoicu in Schwierigkeiten bringen, weil er scharf auf dessen Posten ist. Gut möglich, dass er die Sägeblätter im Fluss widerwärtig findet …«
    »Oder gar stillos«, ergänzte Leo, der sich die Schuhe zuband.
    »Ich meine es ernst, Leo. Wer sagt uns, dass er nicht bessere, sauberere, weniger offensichtliche und viel wirksamere Methoden in der Hinterhand hat?«
    »Und welche? Will er Piranhas in der Donau aussetzen? Oder genetisch manipulierte Süßwasserhaie?«
    »Raffinierte Formen der Einschüchterung, Unterdrückung und Brutalität … der körperlichen Gewalt … Vielleicht wäre er auf seine Art noch viel schlimmer.«
    »Vielleicht. Aber wie es so schön heißt: ›Man kann sich seine Freunde nicht aussuchen.‹«
    »Seine Freunde kann man sich sehr wohl aussuchen. Nur bei der Familie hat man keine Wahl, das ist damit gemeint.«
    »Wirklich? Dann weiß ich ja endlich, was ich mein Leben lang falsch gemacht habe«, erwiderte er grinsend, schlug mir auf die Schulter und verließ die Wohnung.
    Wir gingen zuerst zur Universität. Micu

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