Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)
Zeitungsladen zusammen und rief mich aus dem Krankenhaus an. Als ich dort eintraf, hatte ihm ein Nachbar bereits Bademantel und Hausschuhe sowie eine Tüte mit Zwei-Pence-Münzen für das Telefon gebracht. Der Facharzt erwartete uns schon. Er wollte uns wohl den Krebs erklären – »Konkurrenzkampf der Zellen«, »unkontrolliertes Wachstum«, »feindliche Übernahme« –, aber er klang, als redete er nicht vom Körper, sondern von der Börse. Vielleicht glaubte er, dass wir nur diese Sprache verstanden.
Leo hoffte, dass ich als Person eine ebensolche Leerstelle wäre wie beim Bewerbungsgespräch. Ich schien den ersten Schock gut verdaut zu haben, denn er lobte meine Anpassungsfähigkeit. Er hielt mich für unerschütterlich, obwohl das vollkommen fremde Leben in Bukarest dadurch entschärft wurde, dass ich eine wie für mich geschaffene Welt betrat: eine Wohnung mit passenden Kleidern, mit Büchern und Schallplatten, die auch ich gekauft, mit Bildern, die ich ebenfalls aufgehängt hätte; dazu ein Job, der bestens zu mir passte, obwohl ich weder seine Anforderungen gekannt noch gewusst hatte, dass ich ihn der Tatsache verdankte, mich nicht darum gerissen zu haben. Dazu Leo, der einem fünfminütigen Gespräch den Anstrich einer zwanzigjährigen Freundschaft geben konnte. Nach unserer ersten Begegnung kam es mir vor, als hätte er meinem Bewusstsein eine ereignisreiche und innige gemeinsame Vergangenheit eingepflanzt, als wären wir seit einer Ewigkeit miteinander befreundet, als wäre mir diese Freundschaft vorausgeeilt.
Leos Wunsch, ich möge mich wohlfühlen, hatte pragmatische Gründe. Er war der größte Schwarzhändler Bukarests, hatte ein weit verzweigtes Netz von obskuren Helfern und noch viel obskureren Kunden, handelte mit Alkohol, Zigaretten, Kleidern, Nahrungsmitteln, Antiquitäten, Devisen. Er brauchte jemanden als Deckung, einen ehrlichen Mann, und diesen Wunsch erfüllte ich gern. Im Gegenzug – Leo hätte sich allerdings nie so ausgedrückt – gewährte er mir seine bedingungslose Freundschaft.
Schon bald lagerte Leo Schmuggelware in meinen Schränken. Er versteckte seine Vorräte überall in der Stadt, und meine Wohnung, am Eckpunkt dreier Viertel gelegen, die zu den besten Bukarests zählten, war hervorragend als Umschlagplatz geeignet. Trotz seiner Konflikte mit den Behörden bewegte sich Leo sowohl unterhalb als auch oberhalb des Gesetzes: Seine Kunden waren meist mächtiger als seine Häscher, und ein Häscher, der nicht zum Kunden wurde, musste erst noch gefunden werden.
Er versorgte die Botschaften mit rumänischer Währung und erhielt dafür Luxusgüter: Wein oder foie gras , Brandy oder Designerkleidung, alles, was getauscht oder weiterverkauft werden konnte. Manchmal bezahlte man ihn mit Kameras, Föhnen oder Zierblenden, aber es gab nichts, was er nicht verschachern oder eintauschen konnte. Außerdem belieferte er die Ministerien mit Johnnie-Walker-Whisky, den er billig einkaufte und für das Doppelte an jene Lakaien verscherbelte, die für ihre Chefs die Luxuswaren besorgten. Direkte Geschäfte machte er nur mit wenigen Auserwählten: mit dem Verkehrsminister, seiner Quelle für Benzingutscheine, mit dem Staatssekretär für kulturelle Angelegenheiten, mit dem stellvertretenden Innenminister oder – denn er war mir schon ein Begriff gewesen, bevor ich ihm begegnete – Manea Constantin. Leo hatte überall in Bukarest Kontakte, die die Menschen auf okkulte Art miteinander verbanden, durch unterirdische Linien, die eine ganz eigene, unsichtbare Stadt nachzeichneten.
Leos Geschäftspartner, der »Leutnant«, war ein tätowierter, reich mit Ohrringen geschmückter Roma in Reithosen und Kosakenstiefeln, der auf seiner Yamaha Panther wie ein Easy Rider der Welt jenseits des Eisernen Vorhangs durch die Elendsviertel Bukarests knatterte. Er trug einen blauen Kasack mit Goldknöpfen und Offiziersabzeichen – daher sein Spitzname – und sah aus wie der Veteran einer mongolischen Marodeurstruppe. Der Leutnant kümmerte sich um die Logistik. Er kommandierte eine Armee polnischer und rumänischer Lastenträger, die im Schutz der Nacht über Felder, Gebirge und durch urbane Einöden pirschten, unter Klingendraht durchschlüpften und Elektrozäune überwanden, als wären sie so körperlos wie Dunst in der Dämmerung. Sie zapften an den staatlichen Tankstellen Treibstoff ab und entwendeten Gerätschaften aus den schlecht funktionierenden Fabriken; sie zweigten in den kollektivierten
Weitere Kostenlose Bücher