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Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Titel: Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick McGuinness
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haben.
    »Willst du damit sagen, dass ich es war, der sie mit in unser Boot geholt hat?«, fragte ich.
    Ioana stritt das nicht ab. »Du hast getan, was du für das Beste gehalten hast. Du hast dich so verhalten, wie es normal für dich ist. Genau genommen trägst du keine Schuld daran.« Genau genommen … Deutlicher konnte Ioana nicht zum Ausdruck bringen, dass sie mich für den Schuldigen hielt.
    Ich ließ nicht locker. »Ich kann ganz sicher nichts dafür. Ich glaube, du irrst dich – wir alle irren uns. Die Sache ergibt keinen Sinn. Es muss eine andere Lösung geben. Ich weiß nicht, welche, aber sie lautet anders. Warum sollte sich Cilea für die Aktionen von Petre und Vintul interessieren? Sie gehen sie nichts an – sie sind ihr egal. Sie hat sich kein einziges Mal danach erkundigt. Ist das nicht merkwürdig?« Aber ich war beunruhigt. Ich glaubte immer noch, dass Cilea keine Schuld traf, aber sie hatte geklungen, als wäre sie über Einzelheiten informiert … Ich hätte nachhaken sollen, aber ich war zu sehr damit beschäftigt gewesen, sie anzugreifen, alles niederzutreten, was von unserer Beziehung noch übrig war.
    »Schon richtig«, sagte Leo. »Was hätte sie davon, sich in eine solche Sache verwickeln zu lassen, Ioana? Ich habe immer geglaubt, dass du Cilea nicht magst, weil sie anscheinend nur an ihrem Luxusleben interessiert ist. Warum sollte sie bei so etwas mitmachen, wenn das stimmt? Außerdem war sie in unserer Szene immer irgendwie präsent.«
    »Cilea ist nicht blöd. Sie hält die Augen offen und erstattet Bericht wie alle anderen. Sie treibt sich mit den Kindern von Diktatoren herum, reist in die USA, kauft in Hotels ein … Und was ist mir ihr und Belanger? Hast du das vergessen? Glaubst du allen Ernstes, sie würde sich die Hände nicht schmutzig machen, um ihre Privilegien zu retten? Zufälle gibt es nicht. Die Kommunisten haben den Zufall abgeschafft.«
    Ich wollte nach Belanger fragen, aber Ioana schnitt mir mit einer Handbewegung das Wort ab. Jeder erwähnte seinen Namen, aber niemand klärte mich darüber auf, wer dieser Mann war.
    »Bitte hört auf«, sagte Ottilia. »Wir tappen im Dunkeln, und Spekulationen und Unterstellungen helfen uns nicht weiter. Sie bringen Petre nicht zurück, und sie helfen mir nicht, ihn zu finden.«
    Der Film, den Leo nach dem Abriss von Sankt Paraschiva gedreht hatte, lief am nächsten Tag im deutschen Fernsehen. Danach machte er die Runde: Italien, Spanien, Frankreich, USA, Großbritannien. Im »Shit and Hassle« gab es einen neuen Digitalfernseher, und auf dem großen Bildschirm wirkte der Abriss noch unheimlicher. Außerdem konnte man die Arbeiten besser verfolgen: Die Beutegeier, die über die abgestürzte Kuppel herfielen, die Securitate-Leute, die alles im Auge behielten und die Demonstranten filmten. Auf dem Gelände, von Leo mit einem Weitwinkelobjektiv eingefangen, standen verstreut Bulldozer und Abrissbirnen herum, ruhend nach getaner Arbeit.
    All das spielte sich schon seit Jahren ab, aber für die Medien beginnt eine Geschichte erst, wenn sie in das Blickfeld gerät. Man berichtete immer häufiger über Rumänien, was wohl auch an den Unruhen in Prag, Polen und der DDR lag. Im August war es dann eine große Story. Im World Service verurteilte ein junges, lispelndes Mitglied des Prince’s Trust for Architecture den Vandalismus von Ceaușescus Regime. Man zeigte Luftaufnahmen des Palasts des Volkes, wies auf die klotzigen, kitschigen Gebäude hin. Die menschliche Tragödie in Rumänien blieb unerwähnt, obwohl Ceaușescu sein Volk seit fast zwei Jahrzehnten einsperrte, belog, terrorisierte und verhungern ließ, all das mit stillschweigender Duldung des Westens. Doch sein eigentliches Verbrechen schien im schlechten Geschmack zu bestehen.
    In der Botschaft herrschte Aufregung, denn das Land machte Schlagzeilen; es stand auf einmal im Brennpunkt, war nicht mehr das vergessene, auf der Liste bedeutungsloser Staaten irgendwo zwischen Albanien und Bulgarien rangierende Königreich. Das Rumänien-Studio der BBC war, wie Leo sich ausdrückte, von der Besenkammer bis auf den Treppenabsatz vorgerückt. »Und man wird ihr Personal bald aufstocken.«
    Wintersmith war obenauf. Sein Vorgesetzter, Jim Bossy, wurde aus Krankheitsgründen heimgeschickt. Bossy, ein sanfter und nervöser Typ, hatte sein Leben lang gegen den autoritären Beigeschmack seines Namens gekämpft. Er war immer devot, sogar gegenüber seinem Chauffeur, und sein Körper zuckte und ruckte

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