Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)
Trofim im Gefängnis, gemeinsam mit Ceaușescu, der ein paar Schritte hinter ihm stand. Erst von den Faschisten eingesperrt, dann von den Kommunisten (»dasselbe Gefängnis, das gleiche Essen, nur andere Wärter …«). Trofim mit Stalin, mit Chruschtschow, mit Kennedy. Das letzte Foto im Buch zeigte ihn mit seinem Sohn Ion, jetzt Iacub, Rabbi in Tel Aviv, und seinen Enkeltöchtern Sara und Rachel.
Das zensierte Buch, samt »retuschierter« Bilder, war auch fertig. Wir stießen mit lauwarmem Sovietskoi darauf an, dem einzigen Sekt, der im Monocom erhältlich war. Das Cover war wohnblockgrau, die Schrift darauf rostrot, und wenn man es zur Hand nahm, schien es zu zerfallen. Hadrian hatte sich zur Feier des Tages zu uns gesellt. »Ich habe mir die Freiheit erlaubt, die Widmung für unseren Präsidenten, Doktor Ceaușescu, zu verfassen, Genosse. Ich habe mich an die Vorgaben gehalten, aber Sie können natürlich noch ein paar eigene Akzente setzen.« Trofim bedankte sich und bat ihn mit sanftem Sarkasmus, in seinem Sinne selbst einige Akzente zu setzen.
Trofim war bester Laune. Er hatte dafür gesorgt, dass beide Ausgaben seines Buches gleichzeitig erschienen: am siebten Oktober.
»Womit werden Sie sich nun beschäftigen?«, fragte ich ihn beim Abräumen der Gläser, aus denen Hadrian und dessen Parteifreunde getrunken hatten.
»Ich übe mich im Schachspielen.«
Am zwanzigsten September erhielt ich einen Anruf von Wintersmith. »Ich habe von einer Schießerei an der Grenze erfahren. Ein Toter.« Ob das die erwünschte Information sei? Erwünscht sei nicht das richtige Wort, erwiderte ich. Das Datum schien zu stimmen, die Opferzahl aber nicht. »Nur einer?«
»Soweit wir wissen«, sagte er. »Aber die Quelle ist recht zuverlässig. Jugoslawische Grenzposten haben einen Schuss auf dem anderen Flussufer gehört. Die Rumänen haben etwas später, bei einer Sitzung der Grenzsicherung, die offizielle Version vorgetragen: ein Fluchtversuch, und ein einzelner, bewaffneter Mann, der das Feuer eröffnet haben soll, bevor er ausgeschaltet wurde. Laut des Berichts waren es ›Elemente des organisierten Verbrechens‹. Die Jugos glauben das natürlich nicht, aber sie haben andere Sorgen. Hat gedauert, bis wir von unserem Belgrader Büro in Kenntnis gesetzt wurden, aber die Information ist verlässlich. Unser dortiger Mann, Phillimore, hat sich vielleicht zu gut eingelebt, aber er hat gute Kontakte.«
»Nur ein Schuss?«, fragte ich. »Das passt nicht. Warum nur einer, wenn der Mann angeblich zuerst geschossen hat?«
Wintersmith klang, als wäre er mit sich zufrieden. »Ich habe nicht behauptet, dass alles zusammenpasst. Ich habe nur gesagt, dass die Quelle verlässlich ist. Genau wie die zweite Information.«
»Und wie lautet sie?«, fragte ich.
Wintersmith hatte offenbar zu viele Filme gesehen, denn er rückte erst nach einer hochdramatischen Pause mit seinem Wissen heraus. »Am nächsten Tag hat man zwei Leichen gefunden.«
TEIL ZWEI
»In der Geschichte, wie in der Natur, ist der Verfall das Laboratorium des Lebens.«
Karl Marx
EINS
Gegen Mitternacht kehrte Ottilia erschöpft von der Arbeit heim. Ich sagte nichts und ließ sie schlafen. Als sie aufwachte, brachte ich ihr das Frühstück ans Bett und berichtete ihr, was Wintersmith erzählt hatte. So konnte sie wenigstens nicht umfallen.
Leo hatte so viele Gefälligkeiten eingefordert und stand bei so vielen Leuten, die er um Informationen über die Leichen gebeten hatte, in der Kreide, dass selbst sein Netzwerk nichts mehr hergab. Er hatte stundenlang telefoniert und Hunderte Dollar für Hinweise hingeblättert, aber außer ein paar kostspieligen Tipps, die sich als Schüsse in den Ofen erwiesen, kam nichts dabei heraus.
Schließlich schlug er vor, ein Treffen mit Manea Constantin zu organisieren. Nach allem, was zwischen Cilea und mir gelaufen war, glaubte ich allerdings nicht, dass Manea mich empfangen würde.
»Willst du dich wirklich wieder mit ihm einlassen?«, fragte Leo, der plötzlich zurückruderte.
»Haben wir eine andere Chance?«, fragte ich. »Wenn er etwas damit zu tun hat, bleibt mir nicht anderes übrig, zumal ich die Schuld an der ganzen Sache trage.«
»Und du meinst, dass du den Tatsachen ins Gesicht sehen kannst?«
»Keine Ahnung.« Wir fuhren herum. Ottilia stand in der Tür; sie war bleich, Tränenspuren zeichneten sich auf den Wangen ab, und die Finger bluteten dort, wo sie zu heftig an den Nägeln gebissen hatte. »Ich weiß nicht, ob
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