Die Achte Fanfare
können, doch die Männer blieben dran. Ich habe nie nach dem Grund gefragt. Ich wollte es auch gar nicht wissen. Ich glaube, in diesem ganzen Chaos war alles möglich. Nachdem es mir gelungen war, sie von einer Operation abzubringen, gab mir einer von ihnen einen Totenschein, der bereits auf Benbasset ausgestellt war. Ich mußte ihn nur unterschreiben und die Operation durchführen, um alles andere würden sie sich dann kümmern. Ich wußte wirklich nicht, was mit der letzten Bemerkung gemeint war, und so blieb ich standhaft und weigerte mich, ein amtliches Dokument zu fälschen.«
Die Atemzüge kamen jetzt härter.
»Einer von ihnen zog einen Zettel mit einer Adresse darauf hervor, die Adresse meiner derzeitigen Praxis. Sie war bereits gut eingeführt und würde mir gehören, wenn ich unterschrieb. Unter dem Zettel steckte ein zusammengefalteter Scheck. Die Summe darauf war unglaublich. Mein Traum war auf einmal in Reichweite gekommen, und ich griff danach, weil es ja sowieso keine Rolle spielen würde. Benbasset konnte diese Nacht nicht überleben. Ich würde noch nicht einmal lügen, abgesehen von der Todeszeit.«
Jetzt ging Poes Atem wieder langsamer.
»Nach der Operation ging ich hinab und arbeitete noch stundenlang an den neu eingelieferten Patienten. Erst nach Einbruch der Dunkelheit kehrte ich in Benbassets Zimmer zurück. Er war spurlos verschwunden. Es war, als wäre er niemals dort gewesen. Keine Lebenserhaltungs-Maschinen. Frische Laken auf dem Bett. Niemand wußte etwas. Ich habe herumgefragt, ein paar Schwestern angesprochen, die bei der Operation assistiert hatten. Sie sahen mich an, als sei ich verrückt, und taten so, als wüßten sie nicht, wovon ich spreche. Das meinte ich damit, als ich sagte, ich hätte Benbasset verloren. Buchstäblich. Ich versuchte mir später einzureden, er sei nach der Operation gestorben, während ich noch unten war. Doch warum wußten die Schwestern dann von nichts mehr? Dann begriff ich, daß er tatsächlich gestorben war. Der Totenschein mit meiner Unterschrift darauf war bereits in die Akten einsortiert worden.«
Kimberlain stellte die Fakten in seinem Kopf zusammen. Er suchte nach Widersprüchen und Löchern in der Geschichte, die er gerade gehört hatte. »Siebenunddreißig Patienten sind an diesem Tag gestorben, doch es wurde nur Anspruch auf sechsunddreißig Leichen erhoben«, stellte er fest.
»Und ich bin sicher, wenn Sie die Unterlagen im St. Vincent's überprüfen, werden Sie feststellen, daß es dort zu einer ähnlichen Anomalie gekommen ist. Dort verschwand eine Leiche, bevor die Familie Anspruch darauf erheben konnte.«
»Sie haben sie in Ihrer Klinik als Benbasset untergeschoben …«
»Das wäre nicht schwer gewesen«, sagte Poe, »sobald sie erst eine Leiche mit einigermaßen ähnlichen Verletzungen gefunden hatten. Wenn die Gesichtszüge nicht erhalten waren, wäre keinem der Unterschied aufgefallen.«
»Sie wollen damit sagen, daß Benbasset überlebt hat. Darauf läuft doch alles hinaus.«
»Er hat diesen Tag überlebt, ja, doch ich bezweifle, daß er es noch lange überstehen konnte. Körperlich war es unmöglich. Es war ganz einfach nicht mehr genug von ihm erhalten. Beide Beine zerschmettert, einen Arm verloren, den anderen beinahe, die rechte Halsseite war … na ja, Sie verstehen schon.«
»Ja«, sagte der Fährmann. »Ja, ich glaube schon.«
Kimberlain überdachte das alles, während er auf den Fahrstuhl wartete und dann zur Lobby von Poes Haus hinabfuhr. Jason Benbasset hatte den Anschlag, dem seine Familie erlegen war, durch reine Willenskraft überstanden, eine Willenskraft, die seinem Leben vielleicht sogar nach dem Anschlag noch Sinn gegeben hatte. Die Unternehmer, die dem Militär fortschrittliche Technologien zur Verfügung stellten, mußten bestraft werden, weil sie die Welt hervorgebracht hatten, die ihn vernichtet hatte. Auf dieser Ebene handelte es sich um einen sehr persönlichen Racheakt, als hätten Lime, Lisa Eiseman und die anderen irgendwie selbst die Bombe im Marriott Marquis gezündet.
Benbassets Denkmuster war linear, genauso vorhersagbar wie das der Mörder, die er bislang zur Strecke gebracht hatte. Peet, Quail und die anderen hatten einen Sinn für ihre Taten geschaffen, bis diese Taten sich schließlich von sich aus rechtfertigten. Sein Anschlag auf Macy's Erntedankfest-Parade ging im Einklang mit der Erkenntnis seiner eigenen Macht einher. Eine symmetrische und logische Schrittfolge, die ein perverses, aber
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