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Die achte Karte

Die achte Karte

Titel: Die achte Karte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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aus rot-weißem Marmor, aber es ruhte auf dem Rücken einer grinsenden, diabolischen Gestalt. Die rote Haut voller Blasen, krallenbewehrte Hände und Füße, bösartige Augen von durchdringendem Blau.
    Ich kenne dich.
    Die Statue war das Zwillingsstück zu der Illustration auf dem Frontispiz von
Les Tarots.
    Trotz der Last auf ihrem Rücken war die Verachtung ungebrochen. Vorsichtig, als könnte die Figur zum Leben erwachen, schlich Léonie näher heran. Unterhalb davon befand sich eine kleine weiße, vom Alter vergilbte Karte, die ihre Vermutung bestätigte: ASMODÉE , maçon au temple de Salomon, démon du courroux.
    »Asmodeus, Erbauer des salomonischen Tempels, Dämon des Zorns«, las sie laut. Léonie stellte sich auf die kalten Zehenspitzen und spähte in das Becken. Es war leer. Aber sie sah in den Marmor gemeißelte Buchstaben. Sie fuhr mit den Fingern darüber.
    »
Par ce signe tu le vaincras«,
murmelte sie. »In diesem Zeichen wirst du über ihn siegen.«
    Sie runzelte die Stirn. Auf wen bezog sich »über ihn«? Den Teufel Asmodeus? Und gleich darauf ein anderer Gedanke. Was war zuerst da gewesen, die Illustration im Buch oder das Weihwasserbecken? Welches war die Kopie, welches das Original?
    Sie wusste bloß, dass die Jahreszahl in dem Buch 1870 lautete.
    Léonie bückte sich, wobei ihre Röcke wirbelnde Muster in den Staub auf den Bodenplatten malten, und sah am Fuß der Statue nach, ob sich dort vielleicht eine Jahreszahl oder ein Zeichen befand. Sie entdeckte jedoch nichts, was Aufschluss über Alter oder Herkunft der Figur gab.
    Jedenfalls nicht westgotisch.
    Sie nahm sich vor, der Sache weiter nachzugehen – vielleicht wusste Isolde etwas darüber –, dann richtete sie sich auf und blickte in das kleine Schiff der Kapelle. An der Südseite standen schlichte hölzerne Kirchenbänke in drei Reihen mit Blick nach vorne, wie in einer Schulklasse, aber nur so breit, dass jeweils zwei Gläubige darauf Platz fanden. Keine Verzierungen, keine Schnitzereien am Ende der Bank und keine Kissen zum Knien, bloß durchgehende dünne Fußstützen.
    Die Wände der Kapelle waren weiß getüncht, und die Farbe blätterte ab. Einfache Bogenfenster, kein Buntglas, ließen Licht herein, nahmen dem Raum aber alle Wärme. Die Stationen des Kreuzweges waren als kleine Bilder in die Rahmen von Holzkreuzen eingelassen, eigentlich eher Medaillons denn Gemälde, und alle recht unscheinbar, zumindest für Léonies ungeübtes Auge.
    Sie ging langsam durch den Mittelgang, wie eine ängstliche Braut, und wurde immer unruhiger, je weiter sie sich von der Tür entfernte. Einmal fuhr sie herum, weil sie meinte, jemand wäre hinter ihr.
    Wieder niemand.
    Links von ihr flankierten Gipsfiguren von Heiligen den schmalen Innenraum, alle halbgroß, wie böse Kinder, deren Augen ihr zu folgen schienen, als sie vorbeiging. Vor jeder blieb sie stehen, um die Namen zu lesen, die in schwarzer Schrift auf Holztafeln zu ihren Füßen standen: Saint-Antoine, der ägyptische Eremit, Sainte-Germaine, die Schürze voller Bergblumen der Pyrenäen, der lahme Saint-Roch mit seinem Stab. Heilige, die hier in der Gegend verehrt wurden, vermutete sie.
    Die letzte Statue, die dem Altar am nächsten stand, stellte eine schlanke und zierliche Frau in einem knielangen roten Gewand und mit glattem schwarzem Haar dar, das ihr bis auf die Schultern fiel. Sie hielt mit beiden Händen ein Schwert, weder drohend noch so, als müsste sie sich verteidigen, sondern eher so, als beschütze sie etwas.
    Darunter stand in Druckbuchstaben: La Fille d’Epées.
    Léonie runzelte die Stirn. Die Tochter der Schwerter. Vielleicht sollte das eine Darstellung der Sainte-Jeanne d’Arc sein?
    Wieder war ein Geräusch zu hören. Sie sah zu den hohen Fenstern hinauf. Bloß die Zweige der Esskastanienbäume klopften wie Fingernägel gegen das Glas. Bloß der Klang wehmütiger Vogelstimmen.
    Am Ende des Mittelgangs blieb Léonie zunächst stehen, dann ging sie in die Hocke, um den Boden nach Resten des schwarzen Quadrats abzusuchen, von dem der Autor gesprochen hatte, und nach den vier Buchstaben – C, A, D, E –, die ihr Onkel auf den Boden geschrieben hatte, wie sie glaubte. Sie fand nichts, nicht mal die blasseste Spur, aber sie bemerkte eine Inschrift, die in die Steinplatten gekratzt war.
    »
Fujhi, poudes; Escapa, non«,
las sie. Auch diese Worte schrieb sie sich auf.
    Léonie richtete sich auf und trat an den Altar. Ihrer Erinnerung nach entsprach er exakt der

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