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Die achte Karte

Die achte Karte

Titel: Die achte Karte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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gerichtet waren, sie beobachteten. Und in dem Moment, als sie sich dessen bewusst wurde, schien die Atmosphäre in der Kapelle zu kippen, sich zu verändern.
    Ein Rauschen ertönte in der Luft. Sie konnte Musik hören, in ihrem Kopf, die von irgendwo in ihrem Innern kam. Gehört und doch nicht gehört. Dann spürte sie, dass jemand anwesend war, hinter ihr, es umschloss sie, glitt an ihr vorbei, ohne sie auch nur einmal zu berühren, und kam doch immer näher, eine unaufhörliche Bewegung, begleitet von einer Kakophonie aus Flüstern und Seufzen und Weinen.
    Ihr Puls begann zu rasen.
    Das bilde ich mir alles bloß ein.
    Sie hörte ein anderes Geräusch. Sie versuchte, es nicht ernst zu nehmen, so wie sie all die anderen Laute innerhalb und außerhalb von ihr abgetan hatte. Aber da war es wieder. Ein Kratzen, ein Schlurfen. Hinter dem Altar das Klickern von Fingernägeln oder Klauen auf den Bodenplatten.
    Jetzt kam Léonie sich vor wie ein Eindringling. Sie hatte die Stille der Grabkapelle gestört, die Hörenden und Schauenden, die diese verstaubten steinernen Gänge bewohnten. Sie war nicht willkommen. Sie hatte zu den gemalten Bildern an den Wänden hinaufgeblickt und in die Augen der Gipsheiligen gestarrt, die hier wachten. Sie wandte sich um, sah in die bösartigen blauen Augen von Asmodeus. Die im Buch geschilderten Beschreibungen der Dämonen stürmten mit voller Wucht auf sie ein. Sie erinnerte sich, mit welchem Grauen ihr Onkel beschrieben hatte, wie die schwarzen Schwingen, die Gestalten auf ihn niederstießen. Über ihn herfielen.
    Die Male in meinen Handflächen, wie Stigmata, sind nicht verblasst.
    Léonie schaute nach unten und sah, oder bildete sich ein, dass in ihren kalten geöffneten Händen rote Male erschienen. Narben in Form einer liegenden Acht auf ihrer blassen Haut.
    Und jetzt endlich war es mit ihrem Mut vorbei.
    Sie raffte ihre Röcke und stürzte zur Tür. Der böse Blick des Asmodeus schien sie zu verspotten, als sie an ihm vorbeilief, und seine Augen folgten ihr. In Todesangst warf sie sich mit dem ganzen Gewicht ihres Körpers gegen die Tür, die sich dadurch nur noch fester schloss. Trotz ihrer Panik fiel ihr ein, dass die Tür nach innen aufging. Sie packte den Griff und zog.
    Jetzt war Léonie sicher, hinter sich Schritte zu hören. Krallen, Klauen, die über die Bodenplatten schabten, sie verfolgten. Sie jagten. Die Teufel des Ortes waren freigesetzt worden, um die Heiligkeit der Kapelle zu schützen. Ein entsetztes Schluchzen drang aus ihrer Kehle, als sie nach draußen in den dunkel werdenden Wald stolperte.
    Die Tür fiel schwer hinter ihr ins Schloss, knarrte in den alten Angeln. Léonie hatte keine Angst mehr davor, was im Zwielicht zwischen den Bäumen lauern mochte. Das war nichts im Vergleich zu den übersinnlichen Schrecken innerhalb des Grabmals.
    Sie hob ihre Röcke an und lief los, spürte die Augen des Dämons im Rücken. Sie hatte gerade noch rechtzeitig begriffen, dass der uralte Blick der Geister und Gespenster wachte, um ihr Reich gegen Eindringlinge zu schützen. Léonie stürmte durch die stille Luft davon, verlor ihren Hut, strauchelte und wäre fast gestürzt, rannte den Pfad entlang, den sie gekommen war, über den ausgetrockneten Wasserlauf, durch den in Dämmerlicht gehüllten Wald in die Sicherheit der Rasenflächen und Gärten.
    Fujhi, poudes; Escapa, non.
    Einen flüchtigen Moment lang glaubte sie, die Bedeutung der Worte zu verstehen.

Kapitel 41
    ∞
    A ls Léonie völlig durchgefroren zurück ins Haus kam, fand sie Anatole, wie er in der Halle auf und ab lief. Ihr Fehlen war nicht nur bemerkt worden, sondern hatte auch große Bestürzung ausgelöst. Isolde schlang die Arme um sie und wich dann rasch wieder zurück, als schäme sie sich dieser Bekundung ihrer Zuneigung. Anatole umarmte sie und schüttelte sie dann. Er war hin- und hergerissen zwischen seinem Wunsch, sie zu tadeln, und seiner Erleichterung, dass ihr nichts zugestoßen war. Nichts wurde über ihren vorangegangenen Streit, der überhaupt erst dazu geführt hatte, dass sie allein losgezogen war, gesagt.
    »Wo bist du gewesen?«, wollte er wissen. »Wie konntest du so leichtfertig sein?«
    »Ich war im Garten spazieren.«
    »Spazieren! Es ist schon fast dunkel!«
    »Ich habe die Zeit vergessen.«
    Anatole bedrängte sie weiter mit Fragen über Fragen. Hatte sie irgendwen gesehen? Hatte sie sich etwa über die Grenzen des Anwesens gewagt? War ihr irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen?
    Je

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