Die achte Karte
tropfende Regenwasser aufzufangen, das, wie Isolde ihnen erklärte, durch undichte Stellen zwischen lockeren Dachziegeln eindrang.
Zu dritt verweilten sie im Salon, saßen zusammen, schlenderten umher, gingen auf und ab, unterhielten sich. Sie tranken ein wenig Wein. Sie versuchten, sich mit normalen Abendbeschäftigungen die Zeit zu vertreiben. Anatole schürte das Feuer und füllte ihre Gläser auf. Isolde verschränkte ihre langen blassen Finger im Schoß. Einmal zog Léonie den Vorhang zurück und starrte hinaus in die Finsternis. Durch die Ritzen der Fensterläden konnte sie wenig sehen, außer den Silhouetten der Bäume im Park, die immer mal wieder jäh von Blitzen erhellt wurden und sich schüttelten und aufbäumten wie Wildpferde an der Leine. Es kam ihr so vor, als schreie der Wald um Hilfe, während die alten Bäume knarrend und knackend Widerstand leisteten.
Um zehn Uhr schlug Léonie eine Partie Bézique vor. Sie und Isolde setzten sich an den Kartentisch. Anatole blieb stehen, einen Arm auf den Kaminsims gelegt, in der Hand ein Glas Cognac, und rauchte eine Zigarette.
Sie sprachen kaum. Jeder von ihnen tat so, als würde er nicht auf den Sturm achten, lauschte jedoch auf die feinen Veränderungen im Wind und im Regen, die darauf hindeuten mochten, dass das Schlimmste überstanden war. Léonie fiel auf, wie ungemein blass Isolde geworden war, als gäbe es in dem Unwetter noch eine weitere Gefahr, eine Art Warnung. Während die Zeit sich dahinschleppte, gewann sie den Eindruck, dass Isolde um Fassung rang. Oft ließ sie eine Hand gedankenverloren zum Bauch wandern, als leide sie unter einer Krankheit. Oder aber ihre Finger zupften am Stoff ihrer Röcke, an den Ecken der Spielkarten, am grünen Tischüberzug.
Ein Donnerschlag krachte genau über ihnen. Isoldes graue Augen weiteten sich entsetzt. Fast im selben Augenblick war Anatole an ihrer Seite. Léonie spürte einen eifersüchtigen Stich. Sie fühlte sich ausgeschlossen, als hätten die beiden vergessen, dass sie im Raum war.
»Wir sind in Sicherheit«, sagte er leise.
»Laut Monsieur Baillard«, warf Léonie ein, »werden die Unwetter hiesigen Legenden zufolge vom Teufel geschickt, wenn die Welt aus dem Lot geraten ist. Wenn die natürliche Ordnung der Dinge gestört ist. Der Gärtner hat heute Morgen etwas Ähnliches gesagt. Er hat gesagt, gestern Abend sei über dem See Musik zu hören gewesen, die …«
»Léonie,
ça suffit!«,
sagte Anatole scharf. »Alle Geschichten dieser Art, von Dämonen und teuflischen Umtrieben, Flüchen und Verwünschungen, sind bloß Ammenmärchen, um Kindern Angst einzujagen.«
Isolde blickte erneut zum Fenster hinüber. »Wie lange das wohl noch dauert? Ich glaube, ich ertrage es nicht mehr.«
Anatole legte kurz seine Hand auf ihre Schulter und nahm sie gleich wieder weg, aber nicht so schnell, dass Léonie die Geste entgangen wäre.
Er möchte sich um sie kümmern. Sie beschützen.
Sie schob den eifersüchtigen Gedanken beiseite.
»Das Unwetter hat sich bald ausgetobt«, sagte Anatole beruhigend. »Es ist bloß der Wind.«
»Es ist nicht der Wind. Ich spüre etwas … etwas Schreckliches wird geschehen«, flüsterte Isolde. »Ich habe das Gefühl, dass er kommt. Dass er sich uns nähert.«
»Isolde,
chérie«,
sagte Anatole ganz leise.
Léonies Augen verengten sich. »Er?«, wiederholte sie. »Wer? Wer kommt?«
Keiner von beiden achtete auf sie.
Wieder rüttelte ein Windstoß an den Fensterläden. Der Himmel zerbarst. »Ich bin sicher, dieses gediegene alte Haus hat schon Schlimmeres erlebt«, sagte Anatole mit bemüht unbeschwerter Stimme. »Fürwahr, ich wage zu behaupten, es wird auch dann noch viele Jahre stehen, wenn wir alle längst tot und begraben sind. Es gibt nichts zu befürchten.«
Isoldes graue Augen flackerten fiebrig. Léonie sah, dass Anatoles Worte genau die gegenteilige Wirkung erzielt hatten. Statt zu beruhigen, hatten sie die Ängste nur noch geschürt.
Tot und begraben.
Für den Bruchteil einer Sekunde meinte Léonie, das verzerrte Gesicht des Dämons Asmodeus zu erblicken, das sie aus den züngelnden Flammen des Kaminfeuers anstarrte. Sie merkte, wie sie zurückschreckte.
Sie war kurz davor, Anatole die Wahrheit zu sagen und ihm zu beichten, wie sie den Nachmittag verbracht hatte. Was sie gesehen und gehört hatte. Doch als sie sich zu ihm umwandte, sah sie, mit welch zärtlichem und fürsorglichem Blick er Isolde ansah, so dass sie sich fast schämte, ihn dabei ertappt zu
Weitere Kostenlose Bücher