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Die achte Karte

Die achte Karte

Titel: Die achte Karte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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wollen.«
    Léonie fühlte sich plötzlich fiebrig. Sie legte eine Hand an die Stirn. Zu ihrer Verblüffung fühlte sie sich feucht an, kalt. Der Raum drehte sich, schwankte, bewegte sich. Die Kerzen, die Stimmen, die unscharfen Gestalten der Bediensteten, die sich hin und her bewegten, alles schien zu verschwimmen.
    Sie versuchte, ihre Gedanken wieder auf das Gespräch zu konzentrieren, und trank einen weiteren Schluck Wein, um ihre Nerven zu beruhigen. »Musik«, sagte sie, obgleich ihre Stimme klang, als käme sie von weit weg. »Können Sie mir mehr über Musik sagen, Monsieur Baillard?«
    Sie sah den Ausdruck auf seinem Gesicht und dachte einen Moment lang, dass er die unausgesprochene Frage hinter ihren Worten verstanden hatte.
    Warum höre ich, wenn ich schlafe, wenn ich den Wald betrete, im Wind Musik?
    »Musik ist eine Kunst, bei der es um geordnete Klänge und Stille geht, Madomaisèla Léonie. Heute betrachten wir sie als eine Form der Unterhaltung, der Ablenkung, aber sie ist so viel mehr. Denken Sie stattdessen eher an Wissen, das sich mit den Mitteln der Tonsprache ausdrückt, also durch Melodie und Harmonie; mit den Mitteln des Rhythmus, also durch Tempo und Metrum; und mit den Mitteln der Klangfarbe, des Timbres, der Tonstärke und Textur. Einfach ausgedrückt ist Musik eine persönliche Reaktion auf Schwingung.«
    Sie nickte. »Ich habe gelesen, dass sie unter besonderen Bedingungen als Bindeglied zwischen dieser Welt und der nächsten dienen kann. Dass ein Mensch von einer Dimension in die nächste hinübergehen kann. Würden Sie derlei Behauptungen einen gewissen Wahrheitsgehalt zusprechen, Monsieur Baillard?«
    Er sah sie unverwandt an. »Der menschliche Geist kann kein Muster ersinnen, das nicht bereits innerhalb der Grenzen der Natur besteht«, sagte er. »Alles, was wir tun, sehen, schreiben, aufzeichnen, alles ist ein Widerhall der tiefen Fugen des Universums. Musik ist das Sichtbarmachen der unsichtbaren Welt durch Klang.«
    Léonie spürte, wie ihr Herz sich verkrampfte. Jetzt näherten sie sich dem Kern der Sache. Die ganze Zeit über, das war ihr nun klar, hatte sie sich auf diesen Moment zubewegt, in dem sie ihm erzählen würde, wie sie die im Wald verborgene Grabkapelle gefunden hatte, geleitet von der Verheißung dunkler Geheimnisse, die in dem Buch ihres Onkels angesprochen wurden. Ein Mann wie Audric Baillard würde das verstehen. Er würde ihr sagen können, was sie wissen wollte.
    Léonie holte tief Luft.
    »Sind Sie mit dem Spiel des Tarot vertraut, Monsieur Baillard?«
    Seine Miene blieb unverändert, doch seine Augen blickten wacher.
    Fast so, als hätte er eine derartige Frage erwartet.
    »Madomaisèla«, sagte er schließlich, »steht diese Frage in Zusammenhang mit den Dingen, die wir zuvor erörtert haben? Oder ist sie unabhängig davon?«
    »Beides.« Leonie merkte, wie ihr die Wangen glühten. »Aber ich frage das, weil … weil ich in der Bibliothek auf ein Büchlein gestoßen bin. Es ist in einer überaus altertümlichen Form geschrieben, und die Worte selbst sind rätselhaft, und doch war da etwas …« Sie stockte. »Ich bin nicht sicher, ob ich es richtig deute.«
    »Fahren Sie fort.«
    »Dieser Text, bei dem es sich vorgeblich um ein Zeugnis tatsächlicher Begebenheiten handelt, stammt aus der …« Sie geriet ins Stottern, weil sie unsicher war, ob sie den Namen des Verfassers preisgeben sollte.
    Doch Monsieur Baillard beendete den Satz für sie. »Aus der Feder Ihres verstorbenen Onkels«, sagte er und schmunzelte über die Verblüffung auf ihrem Gesicht, die sie nicht verbergen konnte. »Ich weiß von dem Band.«
    »Haben Sie ihn gelesen?«
    Er nickte.
    Léonie atmete erleichtert auf. »Der Verfasser – also mein Onkel – spricht darin von Musik, die in den Stoff der materiellen Welt eingewoben ist. Von bestimmten Noten, die die Geister heraufbeschwören können, so behauptet er jedenfalls. Die Tarotkarten haben gleichfalls eine Verbindung sowohl zu der Musik als auch zu dem Ort und tragen Bilder, die nur während dieser Berührung der beiden Welten zum Leben erwachen.« Sie zögerte kurz. »Im Text ist die Rede von einem Grabmal hier auf dem Anwesen, und von einem Ereignis, das sich angeblich dort einmal zugetragen hat.« Sie hob den Kopf. »Sind Ihnen Geschichten über derlei Geschehnisse zu Ohren gekommen, Monsieur Baillard?«
    Er hielt dem Blick ihrer grünen Augen ruhig und gelassen stand.
    »Ja.«
    Bevor sie das Thema angeschnitten hatte, hatte sie

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