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Die achte Karte

Die achte Karte

Titel: Die achte Karte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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ehe man sich’s versieht, stößt man auf irgendwas anderes, das alles wieder auf den Kopf stellt.«
    Eine Weile fuhren sie in angenehmem Schweigen weiter, beide in Gedanken versunken. Sie kamen an einem großen Bauernhof vorbei und überquerten eine Brücke. Meredith fiel auf, dass die Landschaft auf dieser Seite des Berges anders aussah. Nicht so grün. Graue Felsen, wie Zähne, schienen sich aus der rostfarbenen Erde zu schieben, als hätten heftige Erdbeben das verborgene Herz der Welt nach oben gedrängt. Narben aus rotem Erdreich, wie Wunden im Land. Es war eine weniger freundliche Umgebung, abweisender.
    »Hier wird einem klar«, sagte sie, »wie wenig sich die ursprüngliche Landschaft verändert hat. Wenn man sich die Autos und Gebäude wegdenkt, bleiben die Berge, Schluchten, Täler, die es schon seit zehntausend Jahren gibt.«
    Sie spürte, wie Hals Aufmerksamkeit neu erwachte. Und in dem geschlossenen Wageninnern war sie sich seiner sanften, gleichmäßigen Atemzüge intensiv bewusst.
    »Gestern Abend konnte ich das nicht sehen. Mir kam alles zu klein, zu unbedeutend vor, um das Zentrum von irgendwas zu sein. Aber jetzt …« Meredith sprach den Satz nicht zu Ende. »Hier oben ist schon allein die Größenordnung der Dinge beeindruckend. Da kann man sich besser vorstellen, dass Saunière vielleicht etwas Wertvolles gefunden hat.« Sie stockte. »Ich sage nicht, er hat oder hat nicht, nur dass die Theorie hier glaubwürdiger wirkt.«
    Hal nickte. »Rhedae – der alte Name für Rennes-le-Château – lag im Herzen des Westgotenreiches im Süden. Fünftes, sechstes und frühes siebtes Jahrhundert.« Er sah kurz zu ihr hinüber, schaute dann wieder auf die Straße. »Aber ist es von Ihrem professionellen Standpunkt aus wirklich möglich, dass etwas über einen so langen Zeitraum unentdeckt bleibt? Kommt Ihnen das nicht zu lang vor? Falls es tatsächlich etwas zu finden gab – ob nun von den Westgoten oder sogar noch früher von den Römern –, dann wäre das doch bestimmt schon vor 1891 ans Licht gekommen, oder?«
    »Nicht unbedingt«, antwortete Meredith. »Denken Sie nur mal an die Schriftrollen vom Toten Meer. Es ist ganz erstaunlich, wie manche Dinge zum Vorschein kommen, während andere über Jahrtausende hinweg verborgen bleiben. Im Reiseführer steht, es wurden in jüngerer Zeit bei dem Dorf Fa Reste eines westgotischen Wachturms entdeckt und auf dem Dorffriedhof von Cassaignes westgotische Kreuze.«
    »Kreuze?«, sagte Hal. »Waren sie Christen? Das wusste ich gar nicht.«
    Meredith nickte. »Seltsam, nicht? Interessant ist, dass es bei den Westgoten Sitte war, Könige und Adlige mit ihren Schätzen in versteckten Gräbern zu bestatten und nicht auf Friedhöfen neben einem Kirchenbau. Schwerter, Gürtelschnallen, Juwelen, Spangen, Trinkbecher, Kreuze, alles Mögliche. Was natürlich die gleichen Probleme mit sich brachte wie schon im alten Ägypten.«
    »Wie wehrt man Grabräuber ab?«
    »Genau. Deshalb haben die Westgoten eine Technik entwickelt, geheime Grabkammern in Flussbetten zu graben. Dafür bauten sie einen Damm und leiteten den Fluss vorübergehend um, während das Grab ausgehoben und die Kammer vorbereitet wurde. Wenn der König oder Krieger mit seinen Schätzen dann bestattet war, versiegelten sie die Kammer und tarnten sie mit Schlamm, Sand, Kies, was gerade da war. Dann wurde der Damm eingerissen. Das Wasser rauschte in sein altes Bett, und der König war mit seinem Schatz für alle Ewigkeit verborgen.«
    Meredith sah Hal an, weil sie merkte, dass ihre Worte bei ihm aus irgendeinem Grund einen anderen Gedankengang ausgelöst hatten.
    Sie wurde nicht schlau aus ihm. Selbst wenn sie berücksichtigte, dass er in den letzten Wochen und vor allem am Vortag viel durchgemacht hatte, so schien seine Stimmung doch ständig und unerklärlich umzuschlagen, von offen und entspannt zu jemandem, der die Last der Welt auf den Schultern trug.
    Oder wäre er vielleicht lieber woanders?
    Meredith richtete den Blick nach vorne und starrte durch die Windschutzscheibe. Falls er sich ihr anvertrauen wollte, dann würde er es von allein tun. Es hatte keinen Sinn, ihn zu bedrängen.
    Sie fuhren weiter den kahlen Berghang hinauf, bis Hal um eine letzte Haarnadelkurve bog.
    »Da wären wir«, sagte er.

Kapitel 46
    M eredith spähte durch die Windschutzscheibe, als Hal den Wagen langsam durch die letzte Straßenbiegung steuerte.
    Oberhalb von ihnen sah sie eine Ansammlung von Häusern und anderen

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