Die achte Karte
nicht mehr so blass.
»Sie klingen erstaunt«, sagte er. »Sie haben doch wohl nicht geglaubt, ich würde Sie versetzen?«
»Nein, überhaupt nicht …« Sie stockte und schmunzelte. »Na ja, vielleicht doch. Der Gedanke ist mir gekommen.«
Er breitete die Arme aus. »Wie Sie sehen, da bin ich, geschniegelt und gestriegelt und bereit zum Aufbruch.«
Sie blieben beide ein wenig verlegen stehen, bis Hal sich über die Klavierbank beugte und ihr einen Kuss auf die Wange gab. »Tut mir leid, dass ich mich verspätet habe.« Er deutete auf den Flügel. »Und Sie wollen wirklich nicht …«
»Nein, wirklich nicht«, fiel Meredith ihm ins Wort. »Vielleicht später.«
Während sie nebeneinander die geflieste Lobby durchquerten, registrierte Meredith den engen Abstand zwischen ihnen und seinen Duft nach Seife und Aftershave.
»Wissen Sie schon, wo Sie mit der Suche nach ihr beginnen wollen?«
»Nach ihr?«, fragte sie rasch.
»Lilly Debussy«, sagte er mit verwundertem Blick. »Tut mir leid, aber hatten Sie das nicht heute Morgen vor? Ein bisschen Recherche?«
Sie wurde rot. »Doch, ja. Natürlich.«
Meredith war sich peinlich bewusst, dass sie falsche Schlüsse gezogen hatte. Sie hatte nicht vor, ihm den anderen Grund – den eigentlichen Grund, wenn sie ehrlich war – für ihren Aufenthalt in Rennes-les-Bains zu erklären, das war einfach zu persönlich. Aber wie sollte Hal wissen, woran sie just in dem Moment gedacht hatte, als er in die Lobby kam? Er konnte schließlich nicht hellsehen.
»Natürlich«, wiederholte sie. »Auf den Spuren der ersten Madame Debussy. Falls Lilly hier war, werde ich herausfinden, wie, warum und wann.«
Hal lächelte. »Sollen wir mein Auto nehmen? Ich kutschier Sie gern überallhin.«
Meredith überlegte kurz. So könnte sie sich besser umschauen, Notizen machen und die Landkarte studieren.
»Einverstanden.«
Als sie zur Tür hinaus- und die Stufen hinuntergingen, spürte Meredith den Blick des Mädchens auf dem Foto im Rücken.
Kapitel 45
D ie Einfahrt und der Park sahen bei Tageslicht ganz anders aus.
Oktobersonne überflutete die Beete und ließ alles in satten Farben erstrahlen. Durch die halb geöffneten Wagenfenster roch Meredith den feuchten Qualm von Herbstfeuern und den Duft der Sonne auf nassem Laub. Ein bisschen weiter entfernt fiel gesprenkeltes Licht auf die tiefgrünen Büsche und hohen Buchsbaumhecken. Alles war wie in Gold und Silber gegossen.
»Ich nehme die Strecke durch die Berge nach Rennes-le-Château. Das geht deutlich schneller als über Couiza.«
Die Straße wand sich in Serpentinen die bewaldeten Hänge hinauf. Es gab jede erdenkliche Grün- oder Braunschattierung, jeden Purpur-, Kupfer- oder Goldton, Kastanien, Eichen, hellgelben Ginster, silbrige Haselnussbäume und Birken. Auf der Erde zwischen den Kiefern lagen riesige Zapfen, als sollten sie einen Weg markieren.
Nach einer letzten scharfen Biegung waren sie endlich aus dem Wald heraus und fuhren über ein offenes Gelände mit Wiesen und Weiden.
Meredith spürte, wie sich ihre Stimmung hob, als sich die Landschaft vor ihr auftat.
»Es ist herrlich hier. Einfach wunderschön.«
»Mir ist etwas eingefallen, was Sie bestimmt interessieren wird«, sagte Hal. Sie hörte das Lächeln in seiner Stimme. »Als ich meinem Onkel gesagt habe, ich würde heute Morgen unterwegs sein – und warum –, hat er mich daran erinnert, dass es Gerüchte über eine Verbindung zwischen Debussy und Rennes-le-Château gibt. Er war sogar ungewöhnlich hilfsbereit.«
Meredith wandte den Blick und sah ihn an. »Ist nicht Ihr Ernst?«
»Sie kennen doch bestimmt die meisten Geschichten, die sich um den Ort ranken?«
Sie schüttelte den Kopf. »Welche meinen Sie?«
»Rennes-le-Château ist das Dorf, das diesen ganzen Rummel um den
Heiligen Gral und seine Erben
entfacht hat.
Sakrileg?
Alpha et Omega?
Klingelt’s da nicht bei Ihnen? Nachfahren Christi?«
Meredith verzog das Gesicht. »Tut mir leid. Ich halte es eher mit Sachbüchern – Biographien, Geschichte, Theorien, so was eben. Fakten.«
Hal lachte. »Okay, eine kurze Zusammenfassung: Kern der Geschichte ist, dass Maria Magdalena in Wahrheit mit Jesus verheiratet war und mit ihm Kinder hatte. Nach der Kreuzigung floh sie, wie manche sagen, nach Frankreich. Marseille und eine ganze Reihe anderer Orte an der Mittelmeerküste beanspruchen für sich die Stelle, wo Maria Magdalena an Land gegangen ist. Jetzt springen wir zirka neunzehnhundert Jahre weiter,
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