Die achte Karte
Gebäuden an dem schwindelerregenden Hang. Ein Schild hieß sie in Rennes-le-Château willkommen.
Son site, ses mystères.
Aus der steilen Hecke am Straßenrand lugten weiße und lila Blumen und große Blüten wie bombastische Riesenhyazinthen.
»Im Frühling ist hier alles voll mit Mohnblumen«, sagte Hal, der ihrem Blick folgte. »Das sieht richtig toll aus.«
Wenige Minuten später hielten sie auf einem staubigen Parkplatz mit Blick über die gesamte südliche Ausdehnung des Haute Vallée und stiegen aus dem Wagen. Meredith bewunderte zunächst einen Moment lang das Panorama der Berge und Täler tief unter ihr, dann wandte sie sich um und betrachtete das Dorf selbst.
Gleich hinter ihnen, mitten auf dem Parkplatz, stand ein kreisrunder steinerner Wasserturm. Eine viereckige Sonnenuhr an seiner südlichen Rundung zeigte die Sommer- und Wintersonnenwende an.
Darüber war eine Inschrift. Meredith schirmte die Augen mit der Hand ab, um sie zu lesen.
Aïci lo tems s’en
Va res l’Eternitat
Sie machte ein Foto.
Am Rand des Parkplatzes war eine Informationstafel mit einer Panoramakarte. Hal sprang auf die niedrige Mauer und begann, ihr bestimmte Punkte in der Landschaft zu zeigen: die Berggipfel von Bugarach, Soularac und Bézu, die Ortschaften Quillan im Süden, Espéraza im Südwesten, Arques und Rennes-les-Bains im Osten.
Meredith atmete tief aus. Der endlose Himmel, die Konturen der Berge, die typischen Silhouetten der Tannen, die Bergblumen am Straßenrand, der Turm in der Ferne.
Es war überwältigend und erinnerte sie, wie ihr plötzlich klar wurde, an den Hintergrund auf der Karte La Fille d’Epées. Die Tarotkarten hätten gut mit dieser Landschaft im Geist gemalt worden sein können.
»Hier steht«, sagte Hal, »dass man an klaren Sommertagen von diesem Punkt aus zweiundzwanzig Dörfer sehen kann.«
Er lächelte, sprang dann herab und zeigte auf einen Kiesweg, der vom Parkplatz wegführte.
»Wenn ich das richtig in Erinnerung hab, sind die Kirche und das Museum in diese Richtung.«
»Was ist das?«, fragte Meredith, die auf einen viereckigen, zinnenbewehrten Turm starrte, der das Tal überblickte.
»Der Tour Magdala«, antwortete Hal, der Richtung ihres Blickes folgend. »Saunière hat den Belvedere, den Laufgang mit der tollen Aussicht, an der Südseite seines Gartens, ganz am Ende der Renovierungsarbeiten bauen lassen, 1898 , 1899 . In dem Turm sollte seine Bibliothek untergebracht werden.«
»Die Originalsammlung ist bestimmt nicht mehr da, oder?«
»Vermutlich nicht«, sagte er. »Ich könnte mir denken, dass sie das Gleiche gemacht haben wie mein Vater in der Domaine de la Cade, nämlich ein paar Ersatzbände in die Vitrinen gestellt, um der Atmosphäre willen. Er hat mich angerufen und ganz stolz erzählt, dass er einen Schwung alter Bücher auf einem
vide grenier
in Quillan ergattert hat.«
Meredith schaute fragend.
»Ein Trödelmarkt«, erklärte er.
»Ach so.« Sie lächelte. »Heißt das, Ihr Vater hat sich auch um die praktischen Dinge der Hotelleitung gekümmert?«
Wieder verdunkelte sich Hals Gesicht. »Dad war für das Geld zuständig und ist gelegentlich aus England hergekommen. Das Projekt war eher die Idee meines Onkels. Er hat das Haus gefunden, meinen Vater überredet, die Finanzierung zu übernehmen, die Renovierung überwacht, sämtliche Entscheidungen getroffen.« Er stockte. »Das heißt, bis zu diesem Jahr. Dad hat sich zur Ruhe gesetzt, und hat sich verändert. Positiv. Er war entspannt, es ging ihm gut. Im Januar und Februar war er einige Male hier, und im Mai ist er endgültig hergezogen.«
»Wie fand Ihr Onkel das?«
Hal schob die Hände in die Hosentaschen und schaute zu Boden. »Kann ich nicht sagen.«
»Hatte Ihr Vater schon immer vor, sich in Frankreich zur Ruhe zu setzen?«
»Das weiß ich wirklich nicht«, sagte er. Meredith hörte die Mischung aus Bitterkeit und Verwirrung in seiner Stimme und spürte Mitgefühl in sich aufwallen.
»Sie möchten die letzten Monate im Leben Ihres Vaters nachvollziehen«, sagte sie sanft, was sie nur allzu gut verstehen konnte.
Hal hob den Kopf. »Genau. Wir standen uns nicht mal besonders nahe. Meine Mutter starb, als ich acht war, und ich wurde ins Internat abgeschoben. Selbst wenn ich in den Ferien zu Hause war, musste Dad immer arbeiten. Ich kann nicht behaupten, dass wir uns wirklich kannten.« Er seufzte. »Aber in den letzten zwei Jahren waren wir uns nähergekommen. Ich habe das Gefühl, ich bin ihm das
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