Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die achte Karte

Die achte Karte

Titel: Die achte Karte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
Vom Netzwerk:
eingenommen, dass es ihr nun so vorkam, als gebe es nichts mehr, worauf sie sich freuen konnte.
    Derweil sah sie, wie Isolde sich von Raum zu Raum bewegte, gewohnt ruhig und gelassen, aber doch so, als wäre ihr eine Last von den Schultern genommen worden. Der Ausdruck in ihrem Gesicht ließ erahnen, dass sie jetzt vielleicht zum allerersten Mal das Gefühl hatte, Herrin der Domaine zu sein. Dass das Haus ihr gehörte, nicht umgekehrt, sie dem Haus. Auch Anatole schlenderte pfeifend umher, von der Halle zur Bibliothek, vom Salon auf die Terrasse. Ganz wie ein Mann, dem die Welt zu Füßen liegt.
     
    Später am Nachmittag nahm Léonie Isoldes Einladung zu einem Spaziergang im Garten an. Sie wollte wieder einen klaren Kopf bekommen, und da sie sich etwas besser fühlte, kam es ihr sehr gelegen, sich ein wenig die Beine zu vertreten. Es war windstill und warm, und die Nachmittagssonne lag sanft auf ihren Wangen. Im Nu waren ihre Lebensgeister wiederhergestellt.
    Sie plauderten angeregt über die üblichen Themen, während Isolde Léonie in Richtung See führte. Musik, Bücher, die neueste Mode.
    »Und«, sagte Isolde. »Wie können wir Ihren Aufenthalt hier möglichst kurzweilig gestalten? Anatole hat mir erzählt, Sie interessieren sich für die Geschichte und Archäologie dieser Region? Da böten sich einige ausgezeichnete Ausflugsziele an. Die Burgruine in Coustaussa zum Beispiel?«
    »Die würde ich gerne sehen.«
    »Und natürlich Lesen. Anatole sagt immer, Sie haben eine Leidenschaft für Bücher wie andere Frauen für Schmuck und Kleidung.«
    Léonie errötete. »Er findet, ich lese zu viel, aber nur, weil er nicht genügend liest! Er kennt sich mit Büchern als Ware aus, aber er interessiert sich nicht für die Geschichten zwischen den Seiten.«
    Isolde lachte. »Das könnte natürlich der Grund dafür sein, warum er sein Bakkalaureat wiederholen musste!«
    Léonie warf Isolde einen Blick zu. »Das hat er Ihnen erzählt?«, fragte sie.
    »Natürlich nicht, nein«, sagte sie rasch. »Welcher Mann prahlt schon mit seinen Misserfolgen?«
    »Aber wie …«
    »Mein verstorbener Gatte und Ihre Mutter standen sich zwar nicht sehr nahe, aber Jules war es stets wichtig, sich über die schulische und häusliche Erziehung seines Neffen auf dem Laufenden zu halten.«
    Léonie bedachte ihre Tante mit einem interessierten Seitenblick. Ihre Mutter hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass der Kontakt zwischen ihr und ihrem Halbbruder minimal war. Sie wollte schon nachhaken, doch ihre Tante sprach bereits weiter, und die Chance war vertan.
    »Habe ich eigentlich erwähnt, dass ich erst kürzlich ein Abonnement bei der Société Musicale et la Lyre in Carcassonne erworben habe, auch wenn ich bisher noch keine Gelegenheit hatte, ein Konzert zu besuchen? Ich weiß, es könnte ein wenig eintönig für Sie werden, so abgeschieden hier auf dem Land, weit weg von irgendwelchen Vergnügungen.«
    »Ich bin rundweg zufrieden«, sagte Léonie.
    Isolde schenkte ihr ein dankbares Lächeln. »Ich muss irgendwann in den kommenden Wochen nach Carcassonne, vielleicht könnten wir daraus einen gemeinsamen Ausflug machen. Ein paar Tage in der Stadt bleiben. Wie wäre das?«
    Léonies Augen wurden groß vor Freude. »Das wäre wunderbar, Tante. Wann denn?«
    »Ich warte auf ein Schreiben von den Anwälten meines verstorbenen Mannes. Da muss eine bestimmte Frage geklärt werden. Sobald ich Nachricht erhalte, bereiten wir alles für die Reise vor.«
    »Kommt Anatole mit?«
    »Natürlich«, erwiderte Isolde lächelnd. »Er meint, Sie würden bestimmt gern die mittelalterliche Cité sehen. Sie wurde restauriert, und es heißt, sie soll wieder genauso aussehen wie im dreizehnten Jahrhundert. Eine wirklich bemerkenswerte Leistung. Bis vor etwa fünfzig Jahren war sie noch eine Ruine. Dank Monsieur Viollet-le-Duc und seiner Nachfolger sind die Armenviertel fast vollständig verschwunden. Inzwischen können Touristen gefahrlos dorthin.«
    Sie hatten das Ende des Pfades erreicht, bogen in Richtung See und gingen weiter zu der kleinen schattigen Landzunge, die eine herrliche Aussicht aufs Wasser bot.
    »Jetzt, wo wir uns schon etwas besser kennen, dürfte ich Ihnen da wohl eine eher persönliche Frage stellen?«, sagte Isolde.
    »Nun, ja«, sagte Léonie zurückhaltend, »das heißt, es kommt natürlich auf die Frage an.«
    Isolde lachte. »Also, mich würde interessieren, ob Sie einen Verehrer haben.«
    Léonie wurde rot. »Ich …«
    »Verzeihen Sie,

Weitere Kostenlose Bücher