Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die achte Karte

Die achte Karte

Titel: Die achte Karte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
Vom Netzwerk:
Sie das Unwetter?«, fragte Constant rasch.
    »Nein, überhaupt nicht«, sagte sie, war aber erfreut über seine Besorgnis. »Das Anwesen meiner Tante liegt oben in den Bergen. In den letzten zwei Wochen hatten wir weitaus schlimmere Gewitter als das hier.«
    »Dann wohnen Sie also nicht in unmittelbarer Nähe von Carcassonne?«
    »Südlich von Limoux, im Haute Vallée. Nicht weit von dem Kurort Rennes-les-Bains.« Sie lächelte ihn an. »Kennen Sie die Gegend?«
    »Leider nein«, sagte er. »Obwohl sie mir, wie ich zugeben muss, unversehens sehr interessant erscheint. Wer weiß, vielleicht werde ich ihr in nicht allzu ferner Zukunft einen Besuch abstatten.«
    Das charmante Kompliment ließ Léonie erröten. »Es ist ziemlich einsam da, aber die Landschaft ist atemberaubend.«
    »Gibt es in Rennes-les-Bains ein reges gesellschaftliches Leben?«
    Sie lachte. »Nein, aber die Beschaulichkeit ist uns nur recht. Mein Bruder ist in Paris beruflich sehr eingespannt. Wir sind hier, um etwas Ruhe zu finden.«
    »Nun, ich hoffe, dass sich der Midi noch etwas länger Ihrer Gesellschaft erfreuen darf«, sagte er leise.
    Léonie hatte Mühe, eine gelassene Miene zu bewahren.
    Die spanische Familie, die ihren Streit noch immer nicht beigelegt hatte, stand unvermittelt auf. Léonie wandte sich um und sah, dass die Eingangstür jetzt offen stand.
    »Der Regen scheint aufgehört zu haben, Mademoiselle Vernier«, sagte Constant. »Wie bedauerlich.«
    Die letzten Worte wurden so leise gesprochen, dass Léonie ihm einen Seitenblick zuwarf, verwundert über diese unverhohlene Interessensbekundung. Aber da sein Gesicht völlig arglos war, fragte sie sich, ob sie ihn vielleicht missverstanden hatte. Sie schaute wieder nach hinten zur Tür und sah, dass die Sonne herausgekommen war und die nassen Stufen mit gleißendem Licht überflutete.
    Der Herr mit dem Zylinder half seiner Begleiterin beim Aufstehen. Sie traten vorsichtig aus der Kirchenbank ins Mittelschiff und gingen hinaus. Nach und nach folgten alle Übrigen. Léonie sah erstaunt, wie viele Menschen sich inzwischen in der Kirche eingefunden hatten. Sie hatte es kaum wahrgenommen.
    Monsieur Constant bot ihr seinen Arm an. »Gehen wir?«, sagte er.
    Seine Stimme jagte ihr einen Schauder über den Rücken. Léonie zögerte nur eine Sekunde. Dann sah sie wie im Traum, dass sie ihre unbehandschuhte Hand ausstreckte und sie auf seinen grauen Ärmel legte.
    »Sie sind überaus freundlich«, sagte sie.
    Gemeinsam verließen Léonie Vernier und Victor Constant die Kirche und traten hinaus auf den Place Saint-Gimer.

Kapitel 60
    ∞
    T rotz ihres derangierten Äußeren fühlte Léonie sich als der glücklichste Mensch auf dem Place Saint-Gimer. Wie oft hatte sie sich einen solchen Augenblick ausgemalt, und jetzt fand sie es ungemein erstaunlich, dass es ihr so normal vorkam, Arm in Arm mit einem Mann daherzuschlendern.
    Und nicht im Traum.
    Victor Constant benahm sich weiterhin zuvorkommend und aufmerksam, aber nie aufdringlich. Er bat sie um die Erlaubnis, zu rauchen, und als Léonie sie ihm gewährte, erwies er ihr die Ehre, auch ihr eine seiner türkischen Zigaretten anzubieten, dick und braun, ganz anders als die, die Anatole bevorzugte. Sie lehnte dankend ab, fühlte sich aber geschmeichelt, wie eine Erwachsene behandelt zu werden.
    Die weitere Unterhaltung zwischen ihnen verlief in vorhersehbaren Bahnen – das Wetter, die Vorzüge von Carcassonne, die herrlichen Pyrenäen –, bis sie auf der anderen Seite der Pont Vieux ankamen.
    »Hier müssen sich unsere Wege zu meinem Bedauern trennen«, sagte er.
    Enttäuschung wallte in ihr auf, doch Léonie gelang es, eine vollkommen gefasste Miene zu bewahren.
    »Sie waren äußerst freundlich, Monsieur Constant, und sehr liebenswürdig.« Sie zögerte, dann fügte sie hinzu: »Auch ich muss zurück ins Hotel. Mein Bruder fragt sich bestimmt schon, wo ich bleibe.«
    Einen Moment lang standen sie verlegen da. Es war leicht gewesen, unter so unorthodoxen Bedingungen, wie sie das Unwetter herbeigeführt hatte, Bekanntschaft zu schließen. Etwas ganz anderes hingegen war es, in der entstandenen Verbindung einen Schritt weiterzugehen.
    Léonie fühlte sich zwar keinen Konventionen verpflichtet, dennoch wartete sie ab, dass er das Wort ergriff. Es wäre furchtbar unschicklich von ihr, ein weiteres Treffen vorzuschlagen. Aber sie lächelte ihn an, um ihm damit hoffentlich zu zeigen, dass sie ihm keinen Korb geben würde, sollte er irgendeine Art

Weitere Kostenlose Bücher