Die achte Karte
war, und sie zog die Finger zurück.
Galant gab er vor, nichts bemerkt zu haben. Léonie war ihm dafür dankbar.
»Wieso haben Sie angenommen, ich habe eine Begleiterin bei mir?«, fragte sie, als sie ihrer Stimme wieder traute. »Es könnte doch sein, dass ich in Gesellschaft meines Gatten unterwegs bin.«
»In der Tat, das wäre möglich«, sagte er, »doch eines spricht dagegen. Ich kann mir keinen Ehemann vorstellen, der es so sträflich an Ritterlichkeit mangeln lassen würde, dass er seine wunderschöne junge Frau allein ließe.« Er sah sich in der Kirche um. »Noch dazu in einer derartigen Gesellschaft.«
Sie nahmen beide kurz die ungepflegte Ansammlung von Menschen in Augenschein.
Das Kompliment schmeichelte Léonie, doch sie unterdrückte ein Lächeln.
»Mein Gatte könnte einfach unterwegs sein, um Hilfe zu holen.«
»Kein Mann wäre so töricht«, sagte er, und in der Art, wie er diese Worte aussprach, lag etwas Leidenschaftliches, beinahe Wildes, das Léonies Herz Purzelbäume schlagen ließ.
Er sah nach unten auf ihre unbedeckten Hände, an denen kein Ehering glänzte.
»Nun, ich muss zugeben, Sie sind recht scharfsinnig, Monsieur Constant«, entgegnete sie. »Und Sie haben in der Tat richtig vermutet, dass ich unverheiratet bin.«
»Welcher Ehemann hätte denn auch den Wunsch, sich von einer solchen Gattin zu trennen, und wäre es auch nur für einen Augenblick?«
Sie senkte den Kopf. »Denn Sie würden Ihre Frau natürlich nicht so behandeln?« Die gewagte Bemerkung entglitt ihr, ehe sie sich bremsen konnte.
»Leider bin ich nicht verheiratet«, sagte er mit einem langsamen Lächeln. »Ich wollte damit lediglich ausdrücken, dass ich, dürfte ich mich eines so kostbaren Besitzes glücklich schätzen, besser darauf achtgeben würde.«
Ihre Blicke trafen sich, das Grün und das Blau. Um die Gefühlsaufwallung zu überspielen, die sie empfand, lachte Léonie auf, woraufhin sich mehrere der kurzzeitigen Bürger von Saint-Gimer umdrehten und sie anstarrten.
Constant legte einen Finger an die Lippen. »Pst«, sagte er. »Unsere Ungezwungenheit wird offenbar nicht geschätzt.«
Er hatte die Stimme noch mehr gesenkt, so dass sie gezwungen war, sich näher zu ihm zu beugen. So nah, dass sie einander fast berührten. Léonie spürte seine Wärme neben sich, als wäre die ganze rechte Seite ihres Körpers einem Kaminfeuer zugewandt. Sie musste an Isoldes Worte über die Liebe denken, als sie zusammen auf der Bank am See gesessen hatten, und zum ersten Mal hatte sie eine Ahnung, was das für ein Gefühl sein mochte.
»Soll ich Ihnen ein Geheimnis verraten?«, fragte er.
»Unbedingt.«
»Ich glaube, ich weiß, was Sie hierhergelockt hat, Mademoiselle Vernier.«
Léonie hob die Augenbrauen. »Wirklich?«
»Sie erwecken den Eindruck einer jungen Frau, die sich allein auf ein Abenteuer begeben hat. Sie haben die Kirche allein betreten, durchnässt vom Regen, was darauf schließen lässt, dass Sie ohne Dienstmädchen unterwegs sind, denn die hätten sicherlich einen Schirm dabeigehabt. Und Ihre Augen, fast wie Smaragde, schillern geradezu vor Aufregung.«
Eine spanische Familie in der Nähe fing an, sich lautstark zu streiten, und Constant schaute in deren Richtung. Léonie hatte sich noch nie so gefühlt wie jetzt, war sich aber der Gefahr bewusst, dass sie in einem so intensiven Augenblick Dinge sagen könnte, die sie später bereuen würde.
Sie ließ sich sein Kompliment durch den Kopf gehen.
Ihre Augen schillern fast wie Smaragde.
»In diesem
quartier
wohnen viele spanische Textilarbeiter«, sagte Constant, als spürte er ihr Unbehagen. »Bis 1847 , als mit der Restaurierung der mittelalterlichen Festung begonnen wurde, war die Cité das Zentrum der hiesigen Tuchindustrie.«
»Sie sind gut informiert, Monsieur Constant«, sagte sie, bemüht, sich zu konzentrieren. »Haben Sie mit der Restaurierung zu tun? Sind Sie vielleicht Architekt?«
Ihr schien, als strahlten seine blauen Augen vor Vergnügen auf. »Sie schmeicheln mir, Mademoiselle Vernier, aber nein. Nichts so Bewundernswertes. Ich bin lediglich ein interessierter Laie.«
»Ich verstehe.«
Léonie stellte fest, dass ihr nicht die kleinste amüsante Bemerkung einfallen wollte. Da sie das Gespräch unbedingt in Gang halten wollte, suchte sie nach irgendeinem Thema, in das sie ihn verwickeln konnte. Sie wollte, dass er sie geistreich, intelligent, charmant fand. Zum Glück sprach Victor Constant von sich aus weiter.
»Schon gegen
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