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Die achte Karte

Die achte Karte

Titel: Die achte Karte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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Dr. O’Donnell. Sie ist schon da. Ich bin jetzt unten an der Rezeption. Kannst du runterkommen?«
    Meredith schaute kurz zum Fenster; ihr Erkundungsgang zum See musste wohl noch eine Weile warten.
    »Klar«, seufzte sie. »In fünf Minuten.«
    Sie zog die Doppelschichten Kleidung aus, ersetzte Hals Pullover durch einen roten mit Rundhalsausschnitt von ihr selbst, fuhr sich mit der Bürste durchs Haar und verließ das Zimmer. Als sie oben an der Treppe war, blieb sie stehen und blickte in die im Schachbrettmuster geflieste Halle hinunter. Sie sah Hal im Gespräch mit einer großen dunkelhaarigen Frau, die ihr irgendwie bekannt vorkam. Sie brauchte einen Moment, dann fiel es ihr wieder ein. Auf dem Place des Deux Rennes am Abend ihrer Ankunft hatte die Frau an einer Mauer gelehnt und geraucht.
    »Was sagt man dazu«, murmelte sie leise vor sich hin.
    Hals Gesicht hellte sich auf, als sie dazukam.
    »Hi«, sagte sie und küsste ihn rasch auf die Wange, bevor sie Dr. O’Donnell die Hand reichte. »Ich bin Meredith. Tut mir leid, dass Sie warten mussten.«
    Die Augen der Frau wurden schmal. Offensichtlich überlegte sie, wo sie Meredith schon einmal begegnet war.
    »Wir haben am Abend der Beerdigung kurz miteinander gesprochen«, half Meredith ihr auf die Sprünge. »Vor der Pizzeria auf dem Platz.«
    »Tatsächlich?« Dann entspannte sich ihr Gesicht. »Ach ja, stimmt.«
    »Wir wär’s mit einem Kaffee in der Bar?«, schlug Hal vor und ging voran. »Da können wir uns in Ruhe unterhalten.«
    Meredith und Dr. O’Donnell folgten ihm, und Meredith stellte der etwas älteren Frau einige höflich interessierte Fragen, um das Eis zu brechen. Wie lange sie schon in Rennes-les-Bains wohnte, welche Verbindungen sie zu der Gegend hatte, was sie beruflich machte. Das Übliche.
    Shelagh O’Donnell antwortete bereitwillig, aber bei allem, was sie sagte, war eine nervöse Spannung spürbar. Sie war sehr dünn. Ihre Augen waren ständig in Bewegung, und immer wieder rieb sie Fingerspitzen aneinander. Meredith schätzte sie auf höchstens Anfang dreißig, doch die vielen Falten im Gesicht ließen sie älter erscheinen. Irgendwie konnte Meredith verstehen, dass die Polizei ihre nächtlichen Beobachtungen nicht ernst genommen hatte.
    Sie nahmen denselben Tisch in der Ecke, an dem sie am Abend zuvor mit Hals Onkel gesessen hatten. Tagsüber herrschte hier eine ganz andere Atmosphäre. Es fiel schwer, die Erinnerung an Wein und Cocktails vom Vorabend heraufzubeschwören, denn es roch nach Bienenwachspolitur und frischen Blumen auf der Theke, und ein ganzer Stapel Kisten wartete darauf, ausgepackt zu werden.
    »
Merci«,
sagte Hal, als die Kellnerin ihnen das Tablett mit Kaffee brachte.
    Während er ihnen eingoss, entstand eine Pause. Dr. O’Donnell trank ihren Kaffee schwarz. Als sie den Zucker umrührte, bemerkte Meredith die wulstigen roten Narben, die ihr schon beim ersten Mal aufgefallen waren, und sie fragte sich, wie die wohl entstanden sein mochten.
    »Bevor wir anfangen«, sagte Hal, »möchte ich Ihnen zunächst danken, dass Sie sich bereit erklärt haben, mit mir zu reden.«
    Meredith war erleichtert, dass er ruhig, gefasst und vernünftig klang.
    »Ich hab Ihren Vater gekannt. Er war ein guter Mensch, ein Freund. Aber, ehrlich gesagt, viel kann ich Ihnen wirklich nicht erzählen.«
    »Ich verstehe«, antwortete Hal, »aber lassen Sie es uns auf einen Versuch ankommen. Ich weiß, der Unfall liegt über einen Monat zurück, dennoch gibt es ein paar Aspekte bei den Ermittlungen, die mir keine Ruhe lassen. Ich hatte gehofft, Sie könnten mir ein wenig mehr über die fragliche Nacht erzählen. Wenn ich mich recht erinnere, haben Sie bei der Polizei ausgesagt, Sie meinten, etwas gehört zu haben.«
    Shelaghs Augen huschten zu Meredith, dann zu Hal, dann wieder weg. »Behaupten die noch immer, Seymour wäre von der Straße abgekommen, weil er getrunken hatte?«
    »Genau das fällt mir ja so schwer zu glauben. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Dad das gemacht hätte.«
    Shelagh zupfte an einem losen Faden an ihrer Hose. Meredith sah ihr an, wie nervös sie war.
    »Wie haben Sie Hals Vater kennengelernt?«, fragte sie, um sie ein wenig lockerer zu machen.
    Hal schien von der Unterbrechung überrascht, doch Meredith schüttelte kaum merklich den Kopf, damit er sie weitermachen ließ.
    Ein Lächeln verwandelte Dr. O’Donnells Gesicht, und für einen kurzen Moment konnte Meredith sehen, wie attraktiv die Frau wäre,

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