Die achte Karte
sein.«
»Prima. Wo genau kann ich Sie abholen?«
Shelagh nannte ihm ihre Adresse. Sie verabschiedeten sich mit einem Händedruck, alle ein wenig verlegen angesichts der Umstände, und gingen dann zurück in die Lobby. Meredith begab sich wieder auf ihr Zimmer, und Hal brachte Dr. O’Donnell noch zu ihrem Wagen.
Keiner von ihnen hörte das Geräusch einer anderen Tür – der Tür, die von der Bar in die dahinterliegenden Büroräume führte –, die leise ins Schloss fiel.
Kapitel 86
J ulian Lawrence atmete keuchend. Das Blut pochte ihm in den Schläfen. Er stürmte in sein Arbeitszimmer und knallte die Tür so fest zu, dass die Scheiben in den Bücherschränken durch die Erschütterung klirrten.
Er kramte in seiner Jacketttasche nach Zigaretten und Feuerzeug. Weil seine Hand so stark zitterte, gelang es ihm erst nach mehreren Versuchen, sich eine Zigarette anzuzünden. Der Kommissar hatte erwähnt, dass sich eine Zeugin gemeldet hatte, eine Engländerin namens Shelagh O’Donnell, dass sie aber nichts von Bedeutung gesehen hatte. Der Name war ihm bekannt vorgekommen, aber er hatte sich nichts dabei gedacht. Da die Polizei die Frau offensichtlich nicht ernst nahm, war es ihm unwichtig erschienen. Sie hatten ihm gesagt, sie sei eine
ivrogne,
eine Trinkerin.
Selbst als sie heute Morgen ins Hotel kam, hatte er immer noch nicht zwei und zwei zusammengezählt. Absurderweise hatte er sich nur deshalb in das Büro hinter der Bar geschlichen, um dem Gespräch zwischen ihr, Hal und Meredith Martin zu lauschen, weil er sie von einem der Antiquitätenhäuser in Couiza her wiedererkannt hatte. Daraufhin hatte er irrigerweise angenommen, Ms. Martin hätte sie hergebeten, um mit ihr über das Bousquet-Tarot zu sprechen.
Nun jedoch wusste er, woher er den Namen O’Donnell kannte. Im Juli 2005 hatte es auf einer archäologischen Grabungsstätte in den Sabarthès-Bergen einen Zwischenfall gegeben. Julian konnte sich nicht an die genauen Einzelheiten erinnern, aber mehrere Personen waren dabei ums Leben gekommen, darunter auch ein bekannter einheimischer Autor, dessen Name ihm entfallen war. War auch nicht so wichtig.
Wichtig war nur, dass sie sein Auto gesehen hatte. Natürlich ließ es sich unmöglich nachweisen, dass es sein Wagen gewesen war und nicht eines der vielen identischen Fahrzeuge, aber ihre Aussage könnte das Zünglein an der Waage sein. Bislang hatte die Polizei O’Donnell nicht ernst genommen, aber wenn Hal keine Ruhe gab, könnte sich das ändern.
Er glaubte nicht, dass O’Donnell den Peugeot bereits mit der Domaine de la Cade in Verbindung gebracht hatte, sonst wäre sie wohl kaum heute Morgen hergekommen. Aber er durfte nicht riskieren, dass es so weit kam.
Er musste etwas unternehmen. Wieder einmal stand er unter Zugzwang, genau wie bei seinem Bruder. Julian sah zu dem Gemälde über seinem Schreibtisch hoch: das alte Tarotsymbol, das unendlich viele Möglichkeiten bot, während er selbst sich immer mehr in die Enge getrieben fühlte.
Auf dem Regal darunter lagen die Gegenstände, die bei seinen Ausgrabungen auf dem Anwesen gefunden worden waren. Er hatte nur allmählich akzeptiert, dass von der zerstörten Grabkapelle nicht mehr übrig war als bloß ein paar alte Steine, sonst nichts. Aber immerhin hatte er ein paar wenige Stücke zutage gefördert. Eine beschädigte, aber edle Taschenuhr mit den Initialen AV und ein silbernes Medaillon mit zwei Miniaturen darin, beides aus den Gräbern entnommen, die er am See entdeckt hatte.
Das war es schließlich, was ihm am Herzen lag, die Vergangenheit. Er wollte die Karten finden. Nicht die Probleme der Gegenwart lösen.
Julian ging zu dem Flaschenständer auf dem Sideboard und goss sich einen Brandy ein, um seine Nerven zu beruhigen. Er kippte ihn in einem Zug hinunter, dann schaute er auf die Uhr.
Viertel nach zehn.
Er schob sich ein Pfefferminz in den Mund, griff nach seinen Autoschlüsseln und verließ das Zimmer.
Kapitel 87
A ls Meredith wieder herunterkam, telefonierte Hal gerade. Er versuchte, einen Termin bei der Polizei in Couiza zu bekommen, ehe er losfuhr, um Dr. O’Donnell wie vereinbart abzuholen.
Sie küsste ihn auf die Wange. Er hob eine Hand, signalisierte wortlos, dass er sich später melden würde, und konzentrierte sich dann wieder auf sein Telefonat. Meredith fragte die nette Dame an der Rezeption, ob sie sich irgendwo eine Schaufel borgen könnte. Eloise schien keineswegs verwundert über diese seltsame Bitte, sondern
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