Die achte Karte
wenn ihr das Leben nicht so übel mitgespielt hätte.
»An dem Abend auf dem Platz haben Sie mich gefragt, was
bien-aimé
heißt.«
»Stimmt.«
»Tja, genau das war Seymour. Ein Mensch, der von allen gemocht wurde. Und alle respektierten ihn, selbst wenn sie ihn kaum kannten. Er war immer zuvorkommend, höflich zu Kellnern und Verkäufern, behandelte alle mit Respekt, anders als …« Sie sprach den Satz nicht zu Ende. Meredith und Hal wechselten einen Blick und dachten beide dasselbe – dass Shelagh Seymour mit Julian Lawrence verglich. »Er war natürlich nicht oft hier«, fuhr sie rasch fort, »aber ich habe ihn kennengelernt, als …«
Sie stockte und nestelte an einem Knopf an ihrer Jacke.
»Ja?«, sagte Meredith aufmunternd. »Sie haben ihn kennengelernt, als …?«
Shelagh seufzte. »Vor zwei Jahren habe ich eine ziemlich schwierige Zeit durchgemacht. Ich habe nicht weit von hier, in den Sabarthès-Bergen, bei einer archäologischen Ausgrabung mitgearbeitet und bin da in etwas hineingezogen worden. Habe einige schlechte Entscheidungen getroffen.« Sie stockte. »Um es kurz zu machen, seitdem ist mein Leben nicht einfach. Ich bin gesundheitlich angegriffen und kann immer nur ein paar Stunden die Woche arbeiten, als Gutachterin in den
ateliers
in Couiza.« Wieder hielt sie inne. »Ich bin vor gut achtzehn Monaten hierher nach Rennes-les-Bains gezogen. Ich habe eine Freundin, Alice, die mit Mann und Tochter in einem Dorf nicht weit von hier lebt, in Los Seres, daher war es für mich naheliegend, hierherzukommen.«
Meredith erkannte den Namen. »Los Seres, da kam doch auch der Autor Audric Baillard her, nicht wahr?«
Hal zog die Stirn kraus.
»Ich habe heute Morgen in einem Buch von ihm gelesen. Oben in meinem Zimmer. War bestimmt eins von den
vide-grenier
-Schnäppchen deines Dads.«
Jetzt lächelte er, offensichtlich erfreut, dass sie sich daran erinnerte.
»Ja richtig«, sagte Shelagh. »Meine Freundin Alice kannte ihn gut.« Ihre Augen wurden dunkler. »Ich habe ihn auch kennengelernt.«
Meredith las in Hals Gesicht, dass ihn dieses Gespräch an etwas erinnert hatte, aber er sagte nichts.
»Die Sache ist die, ich hatte ziemlich große Probleme. Trank zu viel.« Shelagh sah Hal an. »Ich bin Ihrem Dad in einer Bar begegnet. Genauer gesagt, in Couiza. Ich war müde, hatte wahrscheinlich schon ein Glas zu viel. Wir kamen ins Gespräch. Er war freundlich und ein wenig besorgt um mich. Bestand darauf, mich zurück nach Rennes-les-Bains zu fahren. Ohne jeden Hintergedanken. Am nächsten Morgen stand er bei mir vor der Tür und hat mich zurück nach Couiza gefahren, um mein Auto abzuholen.« Sie schwieg kurz. »Er hat nie wieder davon gesprochen, doch von da an hat er immer bei mir vorbeigeschaut, wenn er aus England herkam.«
Hal nickte. »Sie glauben also nicht, dass er sich ans Steuer gesetzt hätte, wenn er nicht in der Verfassung gewesen wäre, zu fahren?«
Shelagh zuckte die Achseln. »Hundertprozentig sicher bin ich mir natürlich nicht, aber nein, eigentlich kann ich es mir nicht vorstellen.«
Meredith fand beide ein bisschen naiv. Es gab viele Leute, die das eine sagten und das andere taten, aber Shelaghs offensichtliche Bewunderung für Hals Vater war dennoch beeindruckend.
»Die Polizei hat Hal erzählt, dass Sie meinten, den Unfall gehört zu haben, aber erst am nächsten Morgen erkannten, dass wirklich etwas passiert war«, sagte sie behutsam. »Stimmt das?«
Shelagh hob mit zittriger Hand ihre Kaffeetasse an den Mund, trank einen Schluck und stellte sie mit einem Klappern zurück auf die Untertasse.
»Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, was ich gehört habe. Und ob es überhaupt etwas damit zu tun hatte.«
»Erzählen Sie einfach.«
»Ich habe eindeutig etwas gehört, nicht das übliche Quietschen von Bremsen oder Reifen, wenn einer zu schnell in die Kurve fährt, eher ein Rumpeln, würde ich sagen.« Sie überlegte kurz. »Ich hatte gerade John Martyn aufgelegt,
Solid Air.
Ziemlich softe Musik, aber trotzdem hätte ich das Geräusch draußen nicht gehört, wenn es nicht genau zwischen zwei Songs gewesen wäre.«
»Um wie viel Uhr war das?«
»Gegen eins, so um den Dreh. Ich bin aufgestanden und ans Fenster gegangen, konnte aber nichts sehen. Es war völlig dunkel draußen und völlig still. Ich habe dann einfach angenommen, ein Auto wäre vorbeigefahren. Erst als ich am nächsten Morgen Polizei und Krankenwagen unten am Fluss gesehen habe, habe ich mich gewundert.«
Hals
Weitere Kostenlose Bücher