Die achte Karte
hatte vor, die Ruine der westgotischen Grabkapelle zu finden und von dort aus nach den Tarotkarten zu suchen. Sie mussten sehr gut versteckt sein, sonst wären sie schon vor Jahren gefunden worden, aber Meredith fiel kein besserer Ausgangspunkt für die Suche ein.
Sie entschied sich für einen Pfad, der auf eine kleine Lichtung führte. Nach wenigen Minuten fiel der Hang steil ab. Der Boden unter ihren Füßen veränderte sich. Sie spannte die Beinmuskulatur an, bewegte sich langsam über schlüpfrige Steine und Schotter, rutschte immer wieder ab, brachte Kiefernzapfen und lose Zweige ins Rollen, bis sie schließlich auf einer Art natürlicher Plattform stand, fast wie eine Brücke. Und unterhalb davon erstreckte sich im rechten Winkel ein Streifen braune Erde durch die grüne Waldlandschaft.
Durch eine Lücke zwischen den Bäumen konnte Meredith auf dem Berg gegenüber eine Ansammlung von steinernen Megalithen sehen, grau zwischen dem Waldgrün, möglicherweise dieselben, die Hal ihr auf dem Weg nach Rennes-le-Château gezeigt hatte.
Plötzlich sträubten sich ihr die Haare im Nacken.
Von hier aus, so begriff sie, waren so ziemlich alle natürlichen Orientierungspunkte zu sehen, die Hal erwähnt hatte – der Fauteuil du Diable, das
bénitier,
der Etang du Diable. Und damit nicht genug, auch sämtliche Plätze, die für die Karten als Hintergrund gedient hatten, waren sichtbar.
Die Grabkapelle stammte aus der Zeit der Westgoten. Daher konnte es durchaus noch andere westgotische Grabstätten im näheren Umkreis geben. Meredith ließ den Blick schweifen. Für ihre unkundigen Augen sah das da unten ganz nach einem trockenen Flussbett aus.
Ihre Aufregung mühsam bezähmend, hielt sie Ausschau nach einem Weg, der hinunterführte. Nichts. Sie zögerte, ging in die Hocke, drehte sich um und schob vorsichtig die Beine über die Kante. Ihre Füße ertasteten keinen Halt, und für einen Moment hing sie hilflos an den Ellbogen in der Luft. Dann ließ sie los, fiel eine Schrecksekunde lang, bis sie auf dem Boden landete.
Sie federte den Aufprall in den Knien ab, richtete sich dann auf und ging weiter hinunter. Es sah aus wie ein trockenes Flussbett, in dem sich ein wenig Feuchtigkeit vom Herbstregen gesammelt hatte. Meredith musste aufpassen, nicht über lose Steine zu stolpern oder auf einer Schicht aus nassem Erdreich auszugleiten, während sie den Blick auf der Suche nach irgendetwas Ungewöhnlichem schweifen ließ.
Zuerst schien sich im Unterholz, das dicht wuchernd und triefnass vom Tau war, nirgends eine Lücke aufzutun. Dann, ein Stück weiter, kurz bevor sich das Flussbett erneut steil absenkte, wie eine Kinderrutsche auf einem Rummelplatz, bemerkte Meredith eine leichte Vertiefung. Als sie näher kam, konnte sie einen flachen grauen Stein erkennen, der unter den verschlungenen Wurzeln eines breiten Wacholderbusches mit seinen spitzen grünen Nadeln und dunkelroten Beeren hervorlugte. Die Vertiefung war nicht groß genug für ein Grab, doch der Stein sah nicht so aus, als läge er zufällig dort. Meredith holte ihr Handy hervor und machte ein paar Fotos. Sie steckte das Handy wieder ein und begann, an dem verästelten Unterholz zu zerren. Die dünnen Zweige waren stark und biegsam, doch es gelang ihr, sie weit genug auseinanderzuziehen, um in den feuchten grünen Hohlraum um die Wurzeln zu spähen.
Ein Adrenalinstoß durchfuhr sie. Da war ein Ring aus insgesamt acht Steinen. Das Muster kam ihr irgendwie bekannt vor. Sie kniff die Augen zusammen und überlegte. Plötzlich fiel es ihr wieder ein: Die Anordnung der Steine erinnerte an den Sternenkranz auf dem Haupt von La Force. Und nun, da sie hier stand, konnte sie sehen, dass die Landschaft genau hier an dieser Stelle in Farbe und Schattierung deutliche Ähnlichkeit hatte mit der, die auf der Karte dargestellt war.
Mit wachsender Anspannung schob Meredith die Hände in den Hohlraum und spürte, wie sich die Fingerspitzen ihrer billigen Wollhandschuhe mit Schlamm vollsogen, als sie den größten der Steine wegzog. Sie wischte die Oberfläche sauber und stieß einen Seufzer der Genugtuung aus. Mit schwarzer Farbe oder Teer war dort ein fünfzackiger Stern in einem Kreis aufgemalt.
Das Symbol für die Tarotfarbe der Münzen. Die Schatzfarbe.
Sie machte zwei weitere Fotos, dann schob sie den Stein beiseite. Sie nahm die Schaufel aus der Tasche und begann zu graben, kratzte über Steine und Scherben von ungebrannten Tonziegeln. Sie zog eines der größeren
Weitere Kostenlose Bücher