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Die achte Karte

Die achte Karte

Titel: Die achte Karte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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Stücke heraus und untersuchte es. Es sah aus wie eine Dachpfanne, obwohl sie sich fragte, wieso dergleichen hier draußen in der Erde steckte, so weit weg vom Haus.
    Dann stieß die Metallspitze der Schaufel auf etwas Größeres. Da Meredith nichts beschädigen wollte, legte sie die Schaufel hin und machte mit bloßen Händen weiter, wühlte in der Erde zwischen Würmern und schwarzen Käfern, streifte schließlich die Handschuhe ab und tastete blind mit nackten Fingern.
    Schließlich konnte sie ein Stück schweren Stoff fühlen, ein Wachstuch. Sie schob den Kopf unter die Zweige, um besser sehen zu können, und schlug die Ecken des Stoffs zurück, unter dem ein wunderschön lackierter Deckel einer kleinen Kiste mit kunstvollen Perlmuttintarsien auftauchte. Es sah aus wie eine Schmuckschatulle oder ein Handarbeitskasten, hübsch und offensichtlich kostbar. Obendrauf waren zwei Initialen in matt angelaufenem Messing.
    LV .
    Meredith lächelte. Léonie Vernier. Ganz bestimmt.
    Sie wollte den Deckel öffnen, doch dann zögerte sie. Was, wenn die Karten darin waren? Was würde das bedeuten? Wollte sie sie überhaupt sehen?
    Plötzlich spürte sie die Einsamkeit auf sich lasten. Die Geräusche des Waldes, die ihr so freundlich, so beruhigend erschienen waren, wirkten auf einmal erdrückend, bedrohlich. Sie zog ihr Handy aus der Tasche und sah nach, wie spät es war. Vielleicht sollte sie Hal anrufen? Der Wunsch, eine menschliche Stimme zu hören – seine Stimme –, durchzuckte sie. Dann überlegte sie es sich anders. Wenn er gerade mitten in der Besprechung mit der Polizei war, würde er nicht gestört werden wollen. Nach kurzem Zögern schickte sie ihm eine SMS , bereute es aber sofort wieder. Ersatzhandlung. Und sie wollte nun wirklich nicht abhängig wirken.
    Meredith schaute wieder auf die Kiste vor ihr.
    Die Geschichte ist in den Karten.
    Sie wischte sich erneut die Handflächen an der Jeans ab, die von der Anstrengung und Aufregung ganz verschwitzt waren. Dann endlich klappte sie langsam den Deckel auf. Die Kiste war voll mit Garnrollen, Bändern und Fingerhüten. In der wattierten Unterseite des Deckels steckten Näh- und Stecknadeln. Mit schmutzigen Fingern, ganz gefühllos von der Kälte und dem Graben, nahm Meredith ein paar Garnrollen heraus, tastete zwischen Filz- und Stoffstücken herum, so wie zuvor durch Erde und Dreck.
    Und da waren sie. Sie sah die oberste Karte mit demselben grünen Rücken, das zarte Muster aus filigranen goldenen und silbernen Verästelungen, obgleich die Farbe blasser war und offensichtlich von Hand aufgetragen, nicht von einer Maschine. Sie fuhr mit den Fingern über die Oberfläche. Auch die Textur war anders, rauh, nicht glatt. Eher wie Pergament, keine moderne Kunststoffbeschichtung. Meredith zwang sich, bis drei zu zählen, dann nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und drehte die oberste Karte um.
    Ihr eigenes Gesicht blickte zu ihr hoch. Karte  XI . La Justice.
    Während sie auf das handgemalte Bild starrte, nahm sie erneut das Flüstern in ihrem Kopf wahr. Nicht wie die Stimmen, die ihre Mutter gequält hatten, sondern sanft und leise, die Stimme aus ihrem Traum, in der Luft schwebend, zwischen den Zweigen und Stämmen der Herbstbäume hin und her gleitend.
    Hier, an diesem Ort, schreitet die Zeit hin zur Ewigkeit.
    Meredith stand auf. Am vernünftigsten wäre es, die Karten zu nehmen und zum Hotel zurückzukehren. Sie in ihrem behaglichen Zimmer gründlich zu studieren, mit all ihren Notizen, mit dem Internetzugang, mit den modernen Karten zum Vergleich.
    Nur dass sie jetzt wieder Léonies Stimme hörte. Von einem Moment zum anderen schien die ganze Welt auf diesen einen Ort zusammengeschrumpft zu sein. Der Geruch der Erde in ihrer Nase, der Kies und Schmutz unter ihren Fingernägeln, die Feuchtigkeit, die aus dem Boden in ihre Knochen drang.
    Nur dass das hier nicht der Ort ist.
    Nur dass irgendetwas sie tiefer in den Wald hineinrief. Der Wind wurde lauter, stärker und trug noch etwas anderes mit sich als bloß die Geräusche des Waldes. Musik, gehört und doch nicht gehört. Sie vernahm eine schwache Melodie im Rascheln des Laubes, im Klappern der kahlen Buchenäste ein Stück weiter entfernt.
    Einzelne Noten, eine klagende Melodie in Moll und unaufhörlich die Worte in ihrem Kopf, die sie weiter zu der verfallenen Grabkapelle führten.
    Aïci lo tems s’en,
va res l’Eternitat.
     
    Julian Lawrence schloss seinen Wagen nicht ab, als er ihn auf dem Parkplatz am Rand

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