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Die achte Karte

Die achte Karte

Titel: Die achte Karte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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rissen die Vorhänge herunter. Noch mehr Fensterscheiben zersprangen, von der wachsenden Hitze und verbogenem Metall oder unter der Wucht geworfener Stühle. Mit vor Wut und Neid verzerrten Gesichtern stürzten sie den Tisch um, an dem Léonie gesessen hatte, als sie zum ersten Mal
Les Tarots
las. Unter Aufbietung all ihrer Kräfte rissen sie die Trittleiter aus der Messingschiene an der Wand. Flammen leckten an den Rändern der Teppiche, die gleich darauf aufloderten.
    Der Mob stürmte in die Halle mit dem Schachbrettmuster. Constant folgte ihnen langsam mit seinen ungelenken Schritten.
    Am Fuße der Treppe trafen die Angreifer auf die Verteidiger des Hauses.
    Die Dienstboten waren zahlenmäßig stark unterlegen, aber sie kämpften tapfer. Auch sie hatten unter den Verleumdungen, den Gerüchten, der üblen Nachrede gelitten, und sie verteidigten ihre Ehre ebenso wie den Ruf der Domaine de la Cade.
    Der wuchtige Schlag eines jungen Hausdieners streifte einen Mann, der auf ihn zugestürmt kam, am Kopf, Blut quoll hervor, und der überraschte Dorfbewohner taumelte zurück.
    Sie alle kannten einander. Waren zusammen aufgewachsen, waren Verwandte, Freunde, Nachbarn, und doch bekämpften sie sich jetzt wie Feinde. Emile wurde durch den heftigen Tritt einer stählernen Stiefelkappe von einem Mann zu Fall gebracht, der ihn einst auf den Schultern zur Schule getragen hatte.
    Das Gebrüll schwoll an.
    Die Gärtner und Landarbeiter feuerten mit ihren Jagdflinten in die Menge, trafen einen Mann am Arm, einen anderen ins Bein. Blut spritzte aus klaffender Haut, Arme schnellten hoch, um Schläge abzuwehren. Die Überzahl war zu groß, und die Verteidiger wurden überwältigt. Der alte Gärtner fiel zuerst, hörte Knochen in seinem Bein brechen, als ein Fuß darauf stampfte. Emile hielt sich noch etwas länger, bis ihn schließlich zwei Männer packten und ein dritter ihm wieder und wieder die Faust ins Gesicht schlug, bis er zusammenbrach. Männer, mit deren Söhnen Emile einst gespielt hatte. Sie hoben ihn hoch und schleuderten ihn über das Geländer. Für den Bruchteil einer Sekunde schien er in der Luft zu schweben, dann stürzte er kopfüber in die Tiefe und blieb mit unnatürlich verdrehten Armen und Beinen am Fuß der Treppe liegen. Nur ein dünner Blutfaden lief ihm aus dem Mundwinkel, aber seine Augen waren tot.
    Marietas Cousin Antoine, ein einfältiger Junge, aber doch klarsichtig genug, um richtig und falsch unterscheiden zu können, sah einen Mann, den er kannte, einen Gürtel in der Hand. Es war der Vater eines der getöteten Kinder. Sein Gesicht war eine Grimasse aus Verbitterung und Trauer.
    Ohne richtig zu begreifen, was er tat, und ohne zu überlegen, hechtete Antoine vor, schlang die Arme um den Hals des Mannes und versuchte, ihn zu Boden zu reißen. Antoine war schwer, und er war stark, aber er verstand nichts vom Kämpfen. Sekunden später landete er auf dem Rücken. Er riss die Arme hoch, doch er war zu langsam.
    Der Gürtel traf ihn ins Gesicht, und der Metalldorn der Schnalle bohrte sich in sein Auge. Antoines Welt wurde rot.
     
    Constant stand wartend unten an der Treppe, eine Hand erhoben, um sein Gesicht gegen die Hitze und den Rauch zu schützen, während sein Mann quer durch die Halle gelaufen kam, um ihm Meldung zu machen.
    »Sie sind nicht da«, keuchte er. »Ich habe alles abgesucht. Anscheinend sind sie vor einer Viertelstunde mit einem alten Mann und der Haushälterin verschwunden.«
    »Zu Fuß?«
    Er nickte. »Das hier hab ich gefunden, Monsieur. Im Salon.«
    Victor Constant streckte seine zittrige Hand aus. Es war eine Tarotkarte, das Bild eines grotesken Teufels, zu dessen Füßen zwei Liebende angekettet waren. Constant blinzelte, der Rauch trübte seine Sicht. Während er auf die Karte schaute, schien es, als bewege sich der Dämon, als zucke er wie unter einer Last. Die Liebenden ähnelten immer mehr Vernier und Isolde.
    Er rieb sich mit seinen behandschuhten Fingern über die brennenden Augen, dann kam ihm ein Gedanke.
    »Wenn du Gélis erledigt hast, lass die Tarotkarte bei der Leiche liegen. Das macht alles auf jeden Fall noch verworrener. Ganz Coustaussa weiß, dass die junge Vernier da war.«
    Der Diener nickte. »Und Sie, Monsieur?«
    »Hilf mir bis zur Kutsche. Ein Kind, eine Frau und ein alter Mann? Die können noch nicht weit sein. Ich glaube sogar, dass sie sich irgendwo hier in der Nähe verstecken. Das Gelände ist unwegsam und dicht bewaldet. Es kommt nur ein Ort in Frage, wo

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