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Die achte Karte

Die achte Karte

Titel: Die achte Karte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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ländlichen Idyllen.
    Léonie sah eine prächtige Treppe und links davon einen Stutzflügel mit einer hauchdünnen Staubschicht auf dem Deckel.
    »Madama wird sie auf der Nachmittagsterrasse empfangen«, sagte Marieta.
    Sie geleitete sie durch eine Flügeltür aus mattem Glas, die auf eine von Weinranken und Geißblatt beschattete Südterrasse führte. Sie erstreckte sich über die gesamte Länge des Hauses und bot Blick auf die Rasenflächen und Blumenbeete. Eine ferne Allee aus Rosskastanien und immergrünen Tannen markierte die äußerste Grenze; ein Pavillon aus Glas und weißgestrichenem Holz leuchtete in der Sonne. Im Vordergrund lag die glatte Oberfläche eines künstlichen Sees. »Hier entlang bitte, Madomaisèla, Sénher.«
    Marieta führte sie zum hintersten Ende der Terrasse, wo eine breite gelbe Markise Schatten spendete. Ein Tisch war für drei Personen gedeckt. Weißes Leinentischtuch, weißes Porzellan, Silberlöffel und in der Mitte ein Arrangement aus Wiesenblumen, Parmaveilchen, rosa und weißen Geranien und lila Pyrenäenlilien.
    »Ich werde der Herrin sagen, dass Sie da sind«, erklärte Marieta und verschwand wieder in der Dunkelheit des Hauses.
    Léonie lehnte sich rückwärts gegen das Steingeländer. Ihre Wangen waren gerötet. Sie knöpfte ihre Handschuhe an den Gelenken auf, band den Hut los und benutzte ihn als Fächer.
    »Sie hat uns einmal komplett im Kreis geführt«, sagte sie.
    »Bitte?«
    Léonie zeigte auf die hohe Buchsbaumhecke auf der anderen Seite des Rasens. »Wenn wir durch den Bogen in der Hecke gekommen wären, hätten wir quer durch den Park gehen können. Aber das Mädchen hat uns im Kreis geführt, damit wir von vorne zum Haus kommen.«
    Anatole nahm seinen Strohhut ab und legte ihn auf die Mauer.
    »Tja, es ist ein herrliches Gebäude, und der Anblick war ausgezeichnet.«
    »Und keine Kutsche, keine Haushälterin, um uns zu begrüßen«, fuhr Léonie fort. »Das ist alles äußerst seltsam.«
    »Dieser Garten ist wundervoll.«
    »Hier ja, aber nach hinten raus scheint das ganze Anwesen ziemlich verwahrlost. Verlassen. Die Orangerie, die überwucherten Beete, die …«
    Er lachte. »Verwahrlost, Léonie, du übertreibst! Zugegeben, es ist in einem eher naturbelassenen Zustand, aber ansonsten …«
    Ihre Augen funkelten. »Es ist völlig überwuchert«, sagte sie hitzig. »Kein Wunder, dass die Domaine von den Einheimischen mit Argwohn betrachtet wird.«
    »Was redest du denn da?«
    »Dieser impertinente Mann am Bahnhof, dieser Monsieur Denarnaud – hast du seinen Gesichtsausdruck gesehen, als du ihm unser Reiseziel nanntest? Und der arme Dr. Gabignaud. Die Art, wie dieser unangenehme Maître Fromilhague ihn zur Ordnung rief und ihm das Wort verbat. Das ist alles sehr mysteriös.«
    »Ist es nicht«, sagte Anatole gereizt. »Du glaubst anscheinend, wir wären zufällig in eine von diesen kleinen Gespenstergeschichten von Monsieur Poe gestolpert, die du so goutierst.« Er zog eine Fratze. »›Wir haben sie lebendig in die Gruft gelegt‹«, zitierte er mit zittriger Stimme. »›Ich sage dir, jetzt steht sie vor der Tür!‹ Ich könnte ein Roderick Usher für deine Madeline sein.«
    »Und das Schloss am Tor war verrostet«, sagte sie unbeirrt. »Da ist schon lange Zeit niemand mehr durchgegangen. Ich sage dir, Anatole, es ist höchst eigenartig.«
    Hinter ihnen ertönte eine Frauenstimme, sanft, klar und ruhig.
    »Es tut mir leid, das zu hören, aber Sie sind trotzdem herzlich willkommen.«
    Léonie hörte, wie Anatole nach Luft schnappte.
    Zutiefst beschämt, weil sie belauscht worden war, fuhr sie mit hochrotem Gesicht herum. Die Frau, die da in der offenen Tür stand, passte vollkommen zu ihrer Stimme. Sie war groß und schlank, eine elegante, selbstsichere Erscheinung. Ihre Gesichtszüge waren intelligent und vollkommen ebenmäßig und ihr Teint strahlend schön. Ihr volles blondes Haar war hoch aufgetürmt, nicht eine Strähne verrutscht. Am auffälligsten jedoch waren ihre Augen, ein blasses Grau, wie Mondstein.
    Léonies Hände flogen zu ihren eigenen unbändigen Locken, die im Vergleich dazu richtig widerspenstig waren.
    »Tante, ich …«
    Sie schaute an ihrer staubigen Reisekleidung hinab. Ihre Tante war makellos. Sie trug eine modisch hochgeschlossene cremefarbene taillierte Bluse mit modernen Keulenärmeln, vorne mit Einsatzstreifen verziert und im Rückenbereich gerafft.
    Isolde trat vor. »Sie müssen Léonie sein«, sagte sie und streckte ihre lange,

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