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Die achte Karte

Die achte Karte

Titel: Die achte Karte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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Isolde sich auf ihre Pflichten und sprach wieder Léonie an.
    »Ihre Mutter hat ihre Kindheit hier auf der Domaine de la Cade verbracht, nicht wahr?«
    Léonie nickte.
    »Es muss recht einsam gewesen sein, hier oben allein aufzuwachsen«, mutmaßte Isolde. »Ohne die Gesellschaft anderer Kinder.«
    Léonie lächelte vor Erleichterung darüber, dass sie keine sentimentale Bindung an die Domaine de la Cade heucheln musste, die ihre Mutter nicht empfand, und sprach, ohne nachzudenken.
    »Haben Sie vor, hier zu leben, oder werden Sie nach Toulouse zurückkehren?«
    Isoldes graue Augen blickten verwirrt. »Toulouse? Ich fürchte, ich verstehe nicht …«
    »Léonie«, sagte Anatole scharf.
    Sie wurde rot, erwiderte aber den Blick ihres Bruders. »M’man hat irgendetwas gesagt, was mich vermuten ließ, dass Tante Isolde aus Toulouse stammt.«
    »Wirklich, Anatole, ich bin keineswegs gekränkt«, sagte Isolde. »Aber nein, ich bin in Paris aufgewachsen.«
    Léonie beugte sich vor, ignorierte ihren Bruder geflissentlich. Es interessierte sie immer brennender, wie ihre Tante und ihr Onkel einander kennengelernt hatten. Nach dem wenigen, was sie über Oncle Jules wusste, konnte sie sich die Ehe zwischen den beiden nur schwerlich vorstellen.
    »Ich habe mich gefragt …«, begann sie, aber Anatole fiel ihr ins Wort, und die Gelegenheit war dahin.
    »Haben Sie viele Bekannte in Rennes-les-Bains?«
    Isolde schüttelte den Kopf. »Mein verstorbener Mann hatte kein Interesse an gesellschaftlichen Vergnügungen, und ich muss leider gestehen, dass ich meine Pflichten als Gastgeberin seit seinem Tod vernachlässigt habe.«
    »Gewiss haben die Leute Verständnis für Ihre Situation«, sagte Anatole.
    »Viele unserer Nachbarn waren in den letzten Lebenswochen meines Gatten überaus freundlich. Schon davor war es lange Zeit schlecht um seine Gesundheit bestellt gewesen. Nach seinem Tod galt es viele Dinge zu regeln, und da dies nicht von der Domaine de la Cade aus möglich war, war ich wohl seltener hier, als ich hätte sein sollen. Aber …« Sie brach ab und bezog Léonie mit einem gleichbleibend ruhigen Lächeln in das Gespräch mit ein. »Wenn Sie nichts dagegen hätten, würde ich Ihren Besuch gern zum Anlass nehmen, am kommenden Samstagabend ein Diner zu geben, mit einigen Gästen aus der Gegend. Würde Ihnen das gefallen? Nichts im großen Rahmen, aber es wäre eine Gelegenheit, Sie miteinander bekannt zu machen.«
    »Das wäre hinreißend«, sagte Léonie postwendend, um ihre Tante sogleich mit Fragen zu bestürmen.
    Der Nachmittag nahm einen angenehmen Verlauf. Isolde war eine vorzügliche Gastgeberin, gewissenhaft, aufmerksam und charmant, und Léonie amüsierte sich nicht nur großartig, sondern ließ es sich auch schmecken. Knusprige Weißbrotscheiben mit Ziegenkäse und feingehacktem Knoblauch, kleine Kanapees mit Anchovispaste und schwarzem Pfeffer, ein Teller geräucherter Bergschinken mit lila Halbmonden reifer Feigen. Neben einer Rhabarbertarte mit süßem goldgelbem Teig standen eine blaue Porzellanschale, die randvoll mit Kompott aus Maulbeeren und schwarzen Herzkirschen gefüllt war, und ein Sahnekrug mit einem langstieligen Silberlöffel.
    »Und was ist das da?«, fragte Léonie und zeigte auf einen Teller, auf dem lila Bonbons mit weißem Zuckerguss lagen. »Die sehen köstlich aus.«
    »Pyrenäenperlen, Zitronengrasaroma in Zuckerstückchen kristallisiert. Ich glaube, die mögen Sie besonders gern, Anatole. Und das da …«, Isolde zeigte auf einen anderen Teller, »sind hausgemachte Pralinen. Jules’ Köchin ist wirklich ausgezeichnet. Sie dient der Familie seit fast vierzig Jahren.«
    Ihr Tonfall klang wehmütig, so dass Léonie sich fragte, ob Isolde sich vielleicht so wie ihre Mutter eher wie ein unwillkommener Gast und nicht wie die rechtmäßige Herrin der Domaine de la Cade fühlte.
    »Sie arbeiten für Zeitungen?«, fragte Isolde Anatole.
    Anatole schüttelte den Kopf. »Seit einiger Zeit nicht mehr. Das Journalistenleben war nichts für mich: Streitigkeiten über die Staatsfinanzen, der Algerienkonflikt, die letzte Auswahlkrise in der Académie des Beaux-Arts. Ich fand es deprimierend, mich mit Fragen beschäftigen zu müssen, die mich nicht im Geringsten interessierten, also habe ich es aufgegeben. Jetzt schreibe ich zwar noch hin und wieder eine Rezension für
La Revue Blanche
und
La Revue Contemporaine,
lebe meine literarischen Ambitionen aber ansonsten auf einem weniger kommerziellen Gebiet

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